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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Fenster …», sagte Wagner und sah sich das Haus genauer an, so ähnlich wie der Scherenschleifer es getan hatte. «Das ist ja der reinste Glaspalast!»

    Hier ergab sich nun die Möglichkeit, das Störende des Besuchs umzudrehen ins Nützliche: Sowtschick lud den Beamten zu einer Hausbesichtigung ein, um Sicherheitsmaßnahmen zu erörtern, eine gelbe Drehleuchte plus Sirene oder irgendwie so. Sich danach zu erkundigen, das hatte er schon immer vorgehabt.

    «Nein», sagte Wagner, «keine Sirene. Das reizt diese Leute nur. Da müssen wir uns was anderes einfallen lassen.»

    Sie betraten die Halle, in der sich Wagner, anstatt die Türschlösser zu prüfen, den flandrischen Leuchter besah: Der sei wohl von achtzehnhundert und Weißkohl?

    «Sind das echte Kerzen? Zünden Sie die auch mal an?»

    Das Herrenzimmer mit der Ritterburg, Mariannes Sweetmeats im Damenzimmer. Im Büchergang stellte Wagner jene andere Frage, die Sowtschick auch schon kannte: «Haben Sie all diese Bücher bereits gelesen?» Wieviel die Glocken gekostet hätten, die hier überall rumhängen, wollte er außerdem noch wissen.

    «Wenn ich alle Bücher besäße, die ich bereits gelesen habe, dann würde der Gang nicht ausreichen», das war die Antwort, die Sowtschick in diesem Fall gab, lange hatte er gebraucht, sie sich auszudenken.

    Erst an der Alleetür erwachte das sicherheitstechnische Interesse des Beamten. Er öffnete und schloß sie mehrmals und rüttelte daran.

    «Nä!» sagte er kurz und rüttelte nochmals. Das sei ja wie bei Ohltrop in Hamersiek. «Eintritt frei, nich?» Riegel und Scherengitter müßten hier angebracht werden, das sei das Mindestmum.

    In Sowtschicks unaufgeräumter Fernsehecke – allerhand Kissen auf dem Sofa und nicht zusammengelegte Decken – lief die sogenannte Glotze noch. Da ließen sich die Halbwüchsigen einschließlich des kleinen Türken gerade ins Wasser gleiten, ziemlich so, wie Gott sie geschaffen hatte. (Die beiden Jungen konnten natürlich nicht richtig schwimmen, die Mädchen hingegen gut.) Wagner war offenbar der Meinung, Sowtschick habe hier eine Pornokassette laufen: «Aha!» sagte er, und: «Wo kriegen Sie die her? Aus Hamburg?»

    Sowtschick knipste den Apparat aus, obwohl auch Wagner dazu neigte, noch ein wenig hinzusehen.

    Dann zeigte es sich, daß Wagner bei der Hausführung sehr wohl die Einbruchssicherung im Auge behalten hatte: An diesem Haus sei Hopfen und Malz verloren, sagte er. Es sei auf herkömmliche Weise nicht zu sichern. Einzig mit Infrarot wär das möglich, aber das koste eine Stange Geld. Wenn Sowtschick sich zu einer solchen Lösung entschließen könnte … Er habe da einen Mann an der Hand, den könne er mal anrufen, der komme sofort, und die ganze Sache laufe dann schmerzlos «übere Bühne».

    Er griff sich die Zeitschrift «Form», die aufgeschlagen auf Sowtschicks Schreibtisch lag: «Dies ist ja ein richtiger Warenkatalog … Lassen Sie öfter mal Fotografen ins Haus? Da können sich die Einbrecher ja alles in Ruhe aussuchen.»

    Der Beamte warf noch einen Blick in den Schwimmgang. «Das kost’ wohl ’ne Masse Öl?» sagte er und sah Sowtschick vorwurfsvoll an.

    Sie stiegen die Treppe hinauf und landeten in Sowtschicks Schlafzimmer. Obwohl Sowtschick ihm die Tür öffnete, klopfte Wagner an. Ob es gestattet sei, einzutreten? Er sei so frei? Muffig war es in dem Zimmer, und auf dem ungemachten Bett lag eine Hochglanzbroschüre mit äußerst abwegigen Sexualfotos. Sie hatte sich von unten her zwischen Baudelaire und dem «Unternehmen Cerberus» hervorgeschoben. Dieses Magazin und der vermeintliche Pornofilm …, daß Sowtschick anscheinend ein ganz ein Schlimmer sei, das würde Anneliese Wagner heute abend von ihrem Fritz erfahren. Aber das würde sie vermutlich nur noch mehr für Literatur entflammen.

    Sowtschick lenkte die Aufmerksamkeit des Polizeibeamten von der Anregungsschrift fort auf sein Kabinett. Der Barocksekretär, kleine feine Bilder an der Wand, das war alles sehr interessant für Wagner. Am liebsten hätte er sich Notizen gemacht.

    «Dies ist wohl das Allerheiligste?» fragte er.

    Ja, dachte Sowtschick: Und nun steht hier ein Polizist. Das würde sich in seinem Tagebuch wunderlich ausnehmen.

    Auf dem Tisch lagen die Porträtfotos, die Sowtschick für seine Biographie herausgesucht hatte. Um den Besucher zu unterhalten, blätterte er ihm die Bilder hin, auf denen er mit den Großen dieser Welt zu sehen war. Filmschauspieler, Politiker, PEN-Kongreß.

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