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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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schnell wehte er auch schon wieder davon. Das waren Illusionen. All den mißglückten Sommern würde er durch solch spontanen Entschluß einen weiteren mißglückten hinzufügen. Im übrigen wußte Sowtschick gar nicht, wo er Marianne suchen sollte. War sie noch in Bieseritz bei Klößchen, oder war sie in Köln, womöglich bei Sigrid, ihrer schwachsinnigen Freundin? Ihr hinterherzutelefonieren, widerstrebte ihm.

    Die Tiere merkten, daß ihr Herrchen mit sich zu tun hatte: Sie drangen auf ihn ein, die Hunde stießen ihn mit der Schnauze, und die Kuh Bianca tat laute Schnaufer. Da war es weiß Gott tröstlich, daß Erika nicht nach Hause gegangen war, sondern sich vor ihm aufbaute und sich zunächst über sein ausgestrecktes Bein hockte, dann sich an ihn kuschelte, wobei sie ihre kalten Mäusefinger auf seine behaarten Arme legte: Sie hoffte wohl, daß es ein erneutes Schubkarrefahren über den Rasen geben würde und war ganz still in Erwartung dieses Sports. Sowtschick tat den Deubel. Die Sache mit dem Herzfehler – womöglich kriegte sie hier noch Krämpfe oder was, das hätte ihm noch gefehlt! Dr. Schmauser hatte immer wieder gesagt: «Das kann ganz plötzlich kommen …» Sowtschick begnügte sich damit, seinen Arm um das magere, nach Zwiebeln riechende Kind zu legen. Ihm gefiel es, sie ein wenig zu streicheln und ihr, unter roten Vogelbeeren, von Kohlweißlingen umgaukelt, verschiedene Hinrichtungsarten auszumalen: mit einem Messer die Gurgel durchschneiden, daß das warme Blut heraussprudelt, Genick umdrehen, erdrosseln, hängen. Sowtschick machte dabei das Geräusch des Erstickens nach. Dies hatte zur Folge, daß sich das Kind nur immer dichter an ihn drängte.

    Schließlich sprang es aber doch auf und lief davon, worüber Sowtschick sich freute, denn er war ohnehin schon wieder zu weit gegangen.

    Irgendein Mensch mußte her, das wurde ihm klar, ein Kompagnon, dem es ein Vergnügen sein würde, hier zu wohnen, der es nicht ablehnte, ihm kleine Dienste zu erweisen – kochen vielleicht, Hunde ausführen –, der intelligent genug wäre, auch mal ein Gespräch zu führen. Fünfzig Mark pro Tag? Bei dem Geld, das Sowtschick dadurch sparte, daß er nicht verreiste, ließe sich eine solche Ausgabe auch vor Marianne rechtfertigen.

    Er schleppte sich ans Telefon und rief weder den Verleger an noch seine Freundin. Sowtschick wählte die Nummer der Universität Hamburg und ließ sich mit dem ASTA verbinden, ob da nicht jemand wäre, der ihm, dem Schriftsteller – «Sie kennen mich vielleicht, mein Name ist Sowtschick…» – , den Hausstand führen will, ein bißchen Frühstück machen, kochen und mit den Hunden gehn?

    «Da müssen Sie das Arbeitsamt anrufen», wurde gesagt, Nummer soundso, die Studentenvermittlung … Man verband ihn mit einem Mann, bei dem allerdings «nichts klingelte», als Sowtschick seinen Namen nannte: «Da klingelt bei mir nichts …», sagte er. «Und was wollen Sie?»

    «Ich brauche jemanden, der bei mir kocht und ein bißchen die Hunde ausführt. Ich lebe in einem wunderschönen Landhaus …»

    «Nein», sagte der Mann.

    «Was: Nein?» fragte Alexander Sowtschick.

    «Das gibt es nicht. Es gibt niemanden, der kochen kann und keinen, der aufs Land will.»

    Das war wieder mal typisch! Diese Beamtennaturen! Anstatt sich dafür einzusetzen, daß die jungen Leute was zu tun haben, von der Straße verschwinden und nicht auf dumme Gedanken kommen. Wenn man ihm in seiner Jugend ein solches Angebot gemacht hätte! Zu einem Schriftsteller aufs Land fahren, womöglich mit einem See in der Nähe, im Schilf liegt das Boot, und die Töchter des Gutsbesitzers sind auch nicht weit … Er wäre wie rasend darauf eingegangen.

    Immerhin gab ihm der Mann die Nummer der sogenannten «Jobberhöhle», einem Kellerlokal, in dem sich morgens die Studenten meldeten, die sich ein paar Mark zuverdienen wollten als Stauer im Hafen oder als Statisten. Eine freundliche Dame nahm alles auf: Wo, wie lange und vor allem wieviel. Eine Stunde später wurden ihm Vorschläge unterbreitet: Ein Inder, der Geld braucht, oder: «Wie wär’s mit einer Juristin, die sich nebenbei aufs Rigorosum vorbereiten will?»

    Sowtschick entschied sich für den Inder. Eine popolose Juristin mit beflaumten Wangen und Warze am Kinn, das war nicht nach seinem Geschmack. Ein Inder, sanft, mit glutvollen Augen, fern der Heimat, so was mußte man unterstützen. Er selbst, wenn er in einem fremden Lande sich befände, wäre ja auch auf

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