Hundstage
Unterstützung angewiesen. Emigration – nie wurde er den Gedanken los, daß er auf seine alten Tage noch einmal den Stab in die Hand nehmen müßte …
Nicht ganz nebensächlich war bei dieser Entscheidung, daß ihn das Exotische reizte: Ein dunkelhäutiger Mann mit Turban? Der Tiger von Eschnapur? Was würde von Dornhagen sagen, wenn ihm ein dunkelhäutiger Mann mit Turban die Tür öffnete? Er würde anerkennend nicken und dann herumtelefonieren, daß Sowtschick sich um Asylanten kümmert – für das Image unbezahlbar.
Der Inder also wurde von Sowtschick angefordert, einzige Bedingung: Schon morgen müsse er die Stelle antreten.
Sowtschick setzte sich ans Klavier: Dieser Fremdling sollte hier, in Sassenholz, Eindrücke fürs Leben erhalten, dafür würde er schon sorgen, der plätschernde Brunnen im Innenhof, der Bibliotheksgang im vollen Sonnenlicht. Wissen und Weisheit des Abendlandes in Tausenden von Büchern gespeichert, die dunkle kühle Halle mit den mild-roten Fliesen und dem flandrischen Kronleuchter … Und dann, vom Studio aus kristallklare Klaviermusik, Mozart, Schubert, und warum nicht mal Prokofjew? Abendländische Kultur würde dieser Fremdling ins Morgenland tragen, wenn er eines Tages Europa verließe, dafür würde Sowtschick schon sorgen.
Für den Fall, daß der Mann einfacherer Natur wäre, als Bodyguard würde er immerhin taugen und – oben im Schrank hatte Sowtschick noch eine hellblaugestreifte Weste, von einem Faschingsfest. Vielleicht könnte man ihn dazu bringen, sie anzuziehen? Und, wenn Hessenberg käme, auf silbernem Tablett, Portwein zu servieren?
Abrundend wirkte es, daß sich in diesem Augenblick Marianne meldete. Sowtschick sagte kühl, daß Frau Schmidt nicht erschienen sei, er sitze ziemlich auf dem Proppen … «Wo steht eigentlich die Kaffeemühle?» Aber es gehe ihm prächtig, die Hunde, die Schafe und die Blumen.
«Letzte Nacht, stell dir mal vor, waren Engländer hier», und dann erzählte er die Sache mit dem «donkey», was er für ein Dummkopf sei.
A m nächsten Morgen hielt der Inder seinen Einzug, und zwar auf einer bordeauxfarbenen, metallicglänzenden BMW. Maschine abstellen, aufbocken, Handschuh ausziehen; Helm abnehmen – es dauerte eine Weile, bis er Sowtschicks dargebotene Hand schütteln konnte: Er tat das hoheitsvoll, «Die Übergabe von Breda», so in diesem Stil.
Das Bellen der herumspringenden Hunde war festlich zu nennen. Sie bedauerten, daß in diesem Augenblick keiner ihrer minderrassigen Kollegen vorüberkam, die es allenfalls mit Omas und Tanten zu tun hatten und niemals einen so herrlichen Besuch kriegten, wie sie jetzt hier. «Sitz!» sagte der Inder, und «Platz»!, und sie folgten ihm aufs Wort, obwohl weit und breit keine Salamischeibe in Sicht war.
Er war ein schöner Mann, groß und schlank, «apart», wie Marianne es ausgedrückt hätte, mit einem schwarzen Bart und dichtem schwarzen Haar, das er auf dem Kopf zu einem Dutt gedreht hatte. Sowtschick holte die Minolta und machte Fotos, und der Inder tat ihm den Gefallen, er setzte sich nochmals auf die Maschine und markierte Ankunft. Sowtschick knipste, von fern und von nah: So hatte man denn nun einen Inder sich eingefangen, das war doch mal was anderes.
Die Maschine wurde versorgt, und der junge Mann ging in das Haus, ohne Notiz zu nehmen von dessen Größe. (Wahrscheinlich bewohnte er in Indien ein marmornes Besitztum mit Säulengängen und künstlichen Teichen.) Während er duschte, lief Sowtschick von einem Zimmer in das andere und richtete, wo es passen wollte, strenge Ordnung oder geniale Unordnung an, er verwandelte seine Heimstatt in ein Künstler-Landhaus, das es an sich ja war. Schließlich kam der Inder die Treppe herabgestiegen als ein junger Gott: Einen lila Turban hatte er auf dem Kopf, wirklich und wahrhaftig. Er klingelte an einem der herunterhängenden Glöckchen und gab dem herbeieilenden Sowtschick einen Zettel mit Nahrungsmittelwünschen, in tadellosem Deutsch geschrieben. Dann verschwand er ohne weiteres in der Küche und begann dort zu werkeln.
Sowtschick aber dankte Gott, daß er nicht eine womöglich popolose Juristin engagiert hatte, allwissend und nichts verstehend. Er raste mit seinem Auto zum Kaufmann und holte ein Huhn, Bananen, Erdnüsse, verschiedenes Gemüse und – «Wir haben nämlich indischen Besuch» – brachte alles seinem neuen Hausgenossen, der schon bald von Kochdunst eingehüllt in der Küche stand und in den Töpfen rührte.
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