Hundstage
Während er hier ein wenig schnibbelte, dort schrabte und mit dem Messer nach Art eines Fernsehkochs Zwiebeln zerteilte, erzählte er Sowtschick von seiner indischen Heimat, von der Armee vorzugsweise, die neue Panzer mit elektronischer Zielverfolgung eingeführt habe.
Sowtschick konnte sich nicht satt sehen an den schlanken Gliedmaßen des Jünglings, die Hände schon allein und das glutvolle bebartete Gesicht unter dem kunstvoll gelegten Turban.
Als Sikh war der junge Mann keinesfalls vegetarisch eingestellt. Gegen das Huhn bestanden keine Bedenken. Einem kämpferischen Volk gehöre er an, sagte er, tapfer, unbeugsam und: nicht vegetarisch. Ganz anders als die faulen Hindus, die in seinen Augen Gelichter waren, faul, untüchtig und gänzlich im Eimer, vom dauernden Pflanzenessen über Generationen hinweg schon hirngeschädigt.
Sowtschick holte seine Minolta und machte auch in der Küche Fotos. Er kniete sich neben den Herd, um das edle Antlitz von unten dampfschwadenumnebelt aufzunehmen. Danach sprang er in seine Fluchtburg hinauf und schrieb in sein Tagebuch: «Apahasi angekommen, vielversprechende Neuerwerbung …», schilderte dessen Feingliedrigkeit und Tatkraft und rannte in den Keller, um zu sehen, ob dort noch Früchtekonserven stünden, die er dem Mann anbieten konnte. Wieder hinauf in die Fluchtburg: «Haare und Bart lassen sich diese Leute lang wachsen … Imponierend irgendwie. Nun, wir werden sehen.»
Das Brutzeln in der Küche hielt an, sämtliche Herdplatten waren in Betrieb. Größere und kleinere Töpfe standen unter Dampf, mal hier angeschubst, mal da. Der junge Mann redete von Männer-«Froidschifft» und von Kampfesmut und klatschte gleichzeitig mit seinen sauberen, innen übrigens hellhäutigen Händen Mehlfladen zurecht, die er auf mit Fett bestrichene Bleche warf und in den Bratofen schob.
Es war drei Uhr mitteleuropäischer Zeit, als er endlich die Küche verließ und mit dem vollen Tablett die Halle ansteuerte, in der Sowtschick normalerweise nie aß. Die Speisen wurden verteilt, und auch die schweifwedelnden Hunde bekamen was, und zwar in drei von Marianne besonders gehüteten Porzellanschüsseln.
Dann saßen die beiden Männer, durch zwei Meter Tisch voneinander getrennt, unter dem flandrischen Kronleuchter: Sowtschick, der europäische Autor, dessen Bücher vom Publikum angenommen wurden, und Apahasi, Licht und Glut des Ostens. Sie hoben die Deckel von den Schüsseln ab wie im Märchen vom Topf mit der weißen Schlange. Sowtschick hatte erwartet, daß der Inder vielleicht ein Gebet sprechen würde, die hellhäutigen Handflächen gegeneinandergelegt, er wäre ohne weiteres bereit gewesen, ihm zu assistieren, Räucherwerk abzubrennen oder mit einem Glöckchen zu läuten – nichts Derartiges geschah.
Der junge Mann, der übrigens fabelhaft Deutsch sprach, langte sich dies und das, nahm vom zerteilten Huhn, streute Erdnüsse darüber und legte sich geschmorte Bananen auf: Sowtschick kam aus dem Staunen nicht heraus. Und, obwohl er seinen Tagesablauf absolut gestört sah (der Mittagsschlaf war für ewig dahin), lauschte er fasziniert der verkündigungsartigen Rede seines Gastes. Bei Reis und Currysauce erfuhr er alles über die Sikhs, und gegen Ende des langen Mahls war er bereits im Bilde über die religiösen Eigenarten dieses Volkes, über die Karmalehre und den Geburtenkreislauf. Er fand alles sehr vernünftig, und er wunderte sich, daß nicht die ganze Welt so dachte wie dieser junge Mann.
Nach dem Essen wurde alles in die Küche getragen, sofort sauber abgewaschen und, Schüssel in Schüssel, fortgestellt. Sowtschick mußte ziemlich lange warten, bis er seinen Gast in den Innenhof zu einer Tasse Kaffee einladen konnte, den er selbst bereitete. Der junge Mann setzte sich in Sowtschicks bequemen Spezialstuhl, ließ sich den Kaffee einschenken und Zucker und Sahne reichen. In seinem etwas näselnden, aber sonst einwandfreien Deutsch berichtete er Sowtschick, die Hunde kraulend, daß er als Sikh zu der Vereinigung der Reinen gehöre, die weder Messer noch Schere an ihr Haar lassen, ständig einen Turban tragen, einen silbernen Armreif und ein Schwert, und Sowtschick stand Höllenqualen aus, weil er entdeckte, daß er den Brunnen nicht angestellt hatte.
Zu diesem Zeitpunkt fiel es Hessenberg ein, seinen Autor zu kontaktieren: Halb fünf, das war die beste Zeit, um sich vergnüglich nach dessen Befinden zu erkundigen und nebenbei an eine Lesung in Hamburg zu erinnern, die
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