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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Gefangenschaft, die Flucht der Eltern. Alles im Stich lassen von heut auf morgen, der Alte Herr nicht gut zu Fuß …

    Da er merkte, daß dies seinen Gast nicht interessierte, kam er wieder auf die Engländer zurück und gab, vor guter Laune sprühend, die «donkey»-Affäre zum besten. Daß hier mitten in der Nacht – «Ich denk, mich trifft der Schlag» – ein englisches Ehepaar aufgetaucht sei, um Benzin zu schnorren, und daß er aus Versehen «donkey» gesagt habe, statt «key». Sie solle mal gucken, was das für ein schöner «donkey» sei, habe er zu der Frau gesagt, die müßte ihn ja für «balla-balla» gehalten haben, für «behämmert» und absolut «plem-plem».

    Engländer? fragte der Sikh. Denen hätte er aber kein Benzin gegeben. Und dann begann er Grausamkeiten zu beschreiben, die die Briten in seinem Vaterland begangen hatten, Auspeitschungen, In-die-Menge-Schießen, alte Männer vor Kanonen binden. Mit Messer und Gabel gestikulierte er, und er wurde immer lauter.

    Aus europäischer Kollegialität versuchte Sowtschick etwas gegenzuhalten. Die Engländer seien weiß Gott keine Waisenknaben, in Palästina, die Juden nicht an Land gelassen, Männer, Frauen und Kinder. Greise! Die Wlassow-Truppen ausgeliefert und Harris mit seinen Bombern … Aber die Deutschen! Oh, die Deutschen! Und er zählte die großen Schreckenstaten auf und nannte kolossale Zahlen. Daß die Deutschen enorm grausam seien, sagte er, so grausam wie wohl kein Volk auf der ganzen Erde. Aber damit kam er nicht durch. Das wär doch gut! rief der Inder. Die Deutschen seien es gewesen, die seinem Vaterland die Freiheit beschert hätten, immerhin! Die Freiheit. Und das Gespräch wurde zu einem Monolog des Fremdlings über die Geschichte des Pandschab. Millionen von Flüchtlingen und Hunderttausende von Toten! Alles Schuld der Briten. – Nein, wenn er im Zweiten Weltkrieg schon gelebt hätte, dann wäre er freiwillig der Indischen Legion beigetreten.

    Schließlich drehte sich das Gespräch um Männer-«Froidschifft» und ums Kämpferische. Daß die Sikhs sich das Haar nicht scheren und so weiter. Hier gestattete Sowtschick sich die Frage nach dem Schwert. Haar lang tragen, Armreif und Schwert: Wo war es?

    Nun, in diesen modernen Zeiten konnte auch der strenggläubigste Sikh nicht mehr mit einem Schwert herumlaufen, das war einzusehen, die langen Haare waren schon beschwerlich genug: Apahasi zeigte seinem Gastgeber die winzige Nachbildung eines Schwertes, die er sich an den Turban gesteckt hatte.

    Das war bei Gott praktisch. Wie Sowtschick sah, hatte auch dieses Volk sich mit seinen Traditionen arrangiert.

    Nach dem Essen bei Kaffee und kleinem Gebäck im warmen Innenhof konnte Sowtschick nichts aus seinem Werk zum besten geben, obwohl es bereits in Sichtweite lag, denn Apahasi setzte seinen Monolog fort. Der Pandschab sei geteilt worden wie Deutschland, nur noch viel schlimmer. Mittendurch! Ohne Rücksicht auf gewachsene Strukturen.

    Dann sprach er von Wiedergeburt und Lebenskreislauf, wobei er übrigens die Füße hochgelegt hatte, und zwar auf die Zeitschrift «Form».

    Das einzige, was Sowtschick blieb, war mit einer Fliegenklatsche umherzugehen und zum Takt der Marschmusikplatte, die Apahasi aufgelegt hatte, den Fliegen nachzustellen.

    «Die Türen und Fenster, lieber Apahasi, müssen stets geschlossen bleiben, sonst haben wir hier alles voller Fliegen», sagte er und fügte hinzu, bei ihm gäb’s für Fliegen nur die Todesstrafe.

    Die Unterhaltung wurde beendet durch den Tiefflug zweier Düsenjäger, die immer wieder herangerast kamen: Engländer übrigens. Nun ja, benehmen sich wie die Axt im Walde.

    Der Rest des Tages verging, ohne daß sich der Exote noch hätte blicken lassen. Er bestieg das Motorrad und fuhr ins Dorf und um das Dorf herum. Er sammelte die Mofa-Jugend ein, um sich mit ihr in die Kurve zu legen. Dem blubbernden Donner seiner Supermaschine gesellte sich das altbekannte Simmen zu. Vom ersten Stock aus beobachtete Sowtschick mit seinem Feldstecher, wie Apahasi sich von der Dorfjugend eskortieren ließ, links und rechts, wie zu einem Staatsbesuch.

    Sowtschick sah sich in seinem Tagesrhythmus gestört, die einzige Rettung in dieser Situation war «Post machen». Mechanisch schlitzte er Briefe auf und beantwortete sie mit Floskeln, die sich in Kürze und Prägnanz bewährt hatten, wobei ein gewisser Brief vom «Globus» von links nach rechts geschoben wurde. Die Parteiensache! «Ich werd ’n Deibel

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