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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wenig Kirchenehrfurcht im Blick. Die Halle mit den alten Schränken und dem flandrischen Leuchter, Porzellanfiguren und dann: die Ritterburg neben dem Kamin, mit Kerzen von innen zu erleuchten. Die Karaffensammlung auf dem Fensterbrett des Teepavillons, geschliffene und farbige Glaskännchen voll süßer geistiger Getränke. Sowtschick konnte hören, wie die Stöpsel aus den Karaffen herausgezogen und schabend wieder hineingesteckt wurden. Er wußte, daß die Mädchen nun in den Bibliotheksgang guckten. Um ihnen Mut zu machen, pfiff er leise: «Hier bin ich? Hallo!», was Kichern auslöste und sodann mutiges Voranschreiten.

    Sowtschick stand auf und kam ihnen breit entgegen: «Da staunt ihr, was?» sagte er, und er nannte sein Haus ein Chalet, was doch wohl ein wenig übertrieben war. Er habe immer gedacht, es sei falsch gewesen, sich ein Chalet zu bauen, aber nun dächte er doch, es sei richtig, er wohne sozusagen in seinem Geld, könne sich täglich dran freuen. Im übrigen sei das Ganze gar nicht so teuer gewesen. Um ihnen die Befangenheit zu nehmen, sagte er, daß das Bauland hier nur eine Mark und fünfzig gekostet habe, außerdem sei das Haus so halb und halb aus Holz gebaut, unheimlich preiswert, und dann erzählte er Antiquitäten-Stories, wie und wo er was erworben hatte, unerhört billig, für einen Pappenstiel, daß «in dieser Truhe hier» mal ein Kind erstickt sei, was gar nicht stimmte, und daß er jenen Meißner Teller in Einbeck von einer Leserin geschenkt bekommen habe. Er wies auch auf kleine Mängel hin: auf nicht in die Zeit gehörige Beschläge oder auf den großen Schlüssel, den «donkey» also, den er erst kürzlich auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Er minderte den Wert seiner Besitztümer, erhöhte ihn gleich darauf wieder, indem er den beiden blonden Mädchen, die zu seiner Freude jetzt Röcke statt Hosen trugen, erzählte, wer alles ihm diese Möbel bereits habe abschnacken wollen und für wieviel. Um dahinterzukommen, wie raffiniert alte Möbelstücke gearbeitet sind, müsse man ihnen mit dem Stifte nachsinnen, sagte er, und er empfahl den beiden, das Schnitzwerk abzuzeichnen.

    Auf den Truhen stand altes Zinngerät, dem Frau Schmidt einmal mit «Meister Propper» zu Leibe gerückt war, was Sowtschick seinerzeit zu gröbsten Ausdrücken provoziert hatte, überlaut in die Gegend geschrien. Das erzählte Sowtschick den Mädchen, die sich unterdessen dem Flügel zugewandt hatten – «Oh! Ein Flügel» –, und er sagte, daß er ja flachgelegen habe vor Wut, der Schlag habe ihn getroffen und, quasi dolmetschend, benutzte er sogar die Wörter «ausgeflippt» und «ausgerastet». Im übrigen hier dieses Paar Schuhe … nicht sehr elegant, was? Das stamme noch aus russischer Kriegsgefangenschaft … Sie könnten sich denken, daß er nicht immer auf Rosen gebettet gewesen sei.

    Die Mädchen sagten, ihr Opa sei auch in Kriegsgefangenschaft gewesen bei den Franzosen, ein Bein habe der verloren und ein Auge. Der sehe sich immer diese Kriegsfilme an, könne sich da unglaublich für begeistern … Ob er es sei, der in diesem Hause Flügel spiele? fragte Gabriele, und er antwortete: Ja, er sei es, der hier Klavier spielt, und zwar manchmal drei und manchmal sogar fünf Stunden pro Tag, den täglichen Ärger hinunterzuspülen oder Frustrationen zu beseitigen, wenn’s beim Schreiben einmal nicht so flutscht. Denn so leicht sollten sie sich das Schreiben nicht vorstellen, er sitze manchen Tag seine sechs, acht Stunden ab.

    Weil sie den Flügel so bewunderten, konnte er nicht widerstehen, er setzte sich und begann einen Schlager aus den dreißiger Jahren hinzulegen: «In meiner Badewanne bin ich Kapitän …» Er konnte dieses Stück wie Peter Kreuder spielen. Wenn er Gäste hatte, abends, und wenn «die Wogen hochgingen», spielte er es und sang wie Peter Igelhoff dazu.

    Die Mädchen standen links und rechts von ihm, intensiv nach Sandelholzseife duftend. Sie fänden es «ätzend», wenn sich einer so ganz «cool» ans Klavier setzt und alte Schlager spielt, sagten sie und hörten ihm zu, und zwar genau acht Takte lang, dann drehten sie schon mal die Augen zur Seite, nahmen die Hand vom Notenständer und wendeten sich zunächst langsam, dann getrost ab, um sich all das andere anzusehen, was hier sonst noch so herumstand: das Bild von Michael, zum Beispiel, braungebrannt und ganz in Weiß, auf einem Segelboot fotografiert.

    «Das ist mein Sohn!» rief Sowtschick und hörte auf zu spielen. Daß der

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