Hundstage
bereits verheiratet sei, Arzt in Stuttgart, fügte er hinzu, und deshalb als Kavalier für sie nicht mehr in Frage komme. «Da müßt ihr schon mit mir vorliebnehmen» … was er sofort bereute. Nun bin ich also doch ein Geili für sie, dachte er, aber sie schienen das nicht zu beachten. Sie traten an den Schreibtisch. «Das ist Ihr Schreibtisch?» Der sei ja so ordentlich! Sie hätten sich vorgestellt, daß es auf dem Schreibtisch eines Schriftstellers wie Kraut und Rüben durcheinandergeht.
Dann wurden die Wiener Bronzen betrachtet, ein Hahn und zwei Hennen, das Briefmesser mit dem Jadegriff aus Bristol und natürlich auch die anderen Fotos, Susi mit Huhn unter dem Arm und Marianne.
«Das ist wohl Ihre Frau?»
Sowtschick sah sich die Fotos an, als habe er sie noch nie gesehen, und sagte: Ja. Und dann verkündete er, daß seine Frau Marianne heiße und nicht nur schön sei, sondern auch klug und lieb.
Warum er nicht mit seiner Frau in Urlaub fahre? wollten sie sodann wissen.
Urlaub? Etwa nach Italien, zu den Operetten-Clowns dort? Sich das Auto aufbrechen lassen? Und sich noch ’n Vogel zeigen lassen, weil er Deutscher ist? Oder nach Dänemark? «Adgang forbud»? – Frankreich, letztes Jahr, romanische Kirchen! Alle Skulpturen geköpft und dauernd Regen. Oder etwa die Karibik? Verhungerte Kinder mit großen Augen, die Ärmchen wie Erdnußaffen nach einer Münze ausgestreckt?
Sowtschick schüttelte den Kopf und fuhr sich durch das Haar wie ein einsamer, von der Welt enttäuschter Mensch. Nein, sagte er, er mache nie Urlaub, er arbeite unausgesetzt, und zwar zwölf Stunden täglich.
Dann war der Postberg an der Reihe, die Mädchen entdeckten ihn, während er sich über Holland ausließ, ein Land, das für Urlaub auch nicht in Frage komme, die atombestrahlten Tomaten dort und die engmaschigen Netze der Fischer. Die Air-Mail-Letters erregten Interesse – «oh, Ägypten» – , die Drucksachen und die geheimnisvollen lila Briefe mit der grünen Tinte. Sowtschick ließ die Postsachen kartentrickartig durch die Hände gleiten. Die Post treibe ihn noch in den Wahnsinn, sagte er, obwohl er vielleicht eher wahnsinnig geworden wäre, wenn er plötzlich keine Briefe mehr gekriegt hätte. Jeden Tag zehn, zwanzig Briefe? Und keine Menschenseele, die ihm dabei hilft, sie zu beantworten?
Von draußen sah die Kuh Bianca zu, wie er da agierte.
«Oh! Kühe», sagten die Mädchen, «die kommen hier ja fast ins Haus …» Ob die Aussicht nicht vielleicht zugebaut wird, eines Tages?
«Nein, bestimmt nicht», sagte er, und zwar aus dem sehr einfachen Grund, weil ihm das nämlich alles gehöre. Im übrigen sei das nächste Kernkraftwerk hundertdreißig Kilometer weit entfernt, auch von daher drohe keine Gefahr.
Er tippte auf das Manuskript seines Winterromans und sagte leichthin: «Daran arbeite ich momentan …», und dann zeigte er auf den dazugehörigen Zettelkasten, sagte: «Zehntausend Zettel für ein Buch, unter dem fange ich gar nicht erst an», obwohl es in Wahrheit nur knapp tausend waren, und er ließ sie in den Notizen zu Fingerlings Leben herumfummeln, wobei die Rubrik «Frauen» die beiden besonders interessierte. Schließlich sagte die Ältere, die eine so kräftige Statur hatte, zu der Jüngeren: «Komm, laß das, das gehört sich nicht!»
Auf einem speziellen Regal neben dem Schreibtisch standen alle von Sowtschick geschriebenen Bücher samt ihren Übersetzungen. «Kaum einen Finger breit», «Herzschlag in Andante», «Kosel», «Wolkenjagd» … absolut vollständig bis auf «Harvest on Sea».
Ob er die Übersetzungen alle gelesen habe? fragten die Mädchen.
«Könnt ihr das lesen?» sagte er und hielt ihnen eine japanische Ausgabe hin, und dann erklärte er den beiden, daß man beim Schreiben ein Schiffskapitän sei, der genug Treibstoff einnehmen muß und ausreichend Ladung. «Mit Kompaß und Karte muß man umgehen können und mit der Mannschaft …» Zum Beispiel Admiral Ciliax, der die deutsche Flotte unter den Augen der Briten durch den Kanal manövriert habe…
Die Mädchen wandten sich den Preisen und Andenken zu, die in einem Glasschrank standen. Ein Kölner Dom mit Spielwerk, die verschiedensten Medaillen und das Bambi, von dem naive Besucher annahmen, es bestehe aus purem Gold. Zu jedem Stück wußte Sowtschick eine Geschichte: Zu dem vierblättrigen Kleeblatt, zum Beispiel, das ihm ein kleines Mädchen geschickt hatte, das an Blutkrebs litt – «So was wirft man nicht weg»
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