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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zeigte er ihnen die Hornhautstellen an den Schreibfingern, und hierbei fielen ihm die tiefen Falten um seine Fingergelenke auf, die dicken Adern und die Altersflecken. Die Hände der Mädchen dagegen lang, schmal, blaugeädert unter brauner Haut. Ach, und das silberne Kettchen, das das Löwenheckerchen ums Handgelenk trug, den Verschluß meist obenauf…

    Liebend gern gingen sie mit Sowtschick die Post durch. Ansichtspostkarten mit blauem Himmel nahmen zu. Sie waren meistens an Apahasi Singh adressiert: Es sei hier wunderschön, stand da drauf, und was er so macht, ob es ihm gutgeht? Unterschrift: Ulrike. Auch Sowtschick wurde mit Ansichtskarten bedacht, von einem «Harry» beispielsweise, und dann konnte Sowtschick sich den Kopf zerbrechen, wer dieser Harry war. Sowtschick erlaubte es den beiden, daß sie ihm seine Post vorlasen. – Aus dem Brief einer alten Dame, die ihm Apfelessig empfahl für seinen schwachen Magen, machte er sich eine Papiermütze, was nicht sehr lustig war, aber die Mädchen krümmten sich doch. Traurig machend war der Brief einer Freifrau von Bodenhagen: Sie sei neulich in Sassenholz gewesen, um ihren beiden reitlustigen Töchtern (sechzehn und achtzehn) ihren Lieblingsschriftsteller zu zeigen. Sie hätten im Gasthaus gesessen und den Wirt um Vermittlung gebeten, nur eben mal reinschauen zu dürfen. Sowtschick erinnerte sich genau daran, wie er aus dem Mittagsschlaf gerissen worden war und: «Nein!» ins Telefon geschrien hatte. Er sei für niemanden zu sprechen. Und das war in den Tagen seiner äußersten Einsamkeit gewesen! Reitlustige Töchter! Es gibt Dinge, über die man sich schwarz ärgern kann.

    Um die Mädchen zu unterhalten, las er ihnen aus einem Aktenordner, auf dem «Kurioses» stand, sonderbare Briefe vor, von verwirrten Menschen, Anbiederungen, Beschimpfungen und Vorschlägen zur Welterneuerung. Es verging kaum eine Woche, in der er nicht Angebote zur Zusammenarbeit bekam, auf der Basis fifty-fifty: « Ich habe eine Menge erlebt, und Sie können gut schreiben, machen wir doch fifty-fifty …«

    «O Gott, sind die alle fertig», riefen die Mädchen und langten sich den Ordner und fingen selbst an, darin zu lesen.

    «Werdet ihr mir denn auch mal schreiben?» fragte Sowtschick.

    «Wir werden uns hüten», riefen die Mädchen. Wer könne denn wissen, wer dann diese Briefe vorliest?

    Für sie kam selten etwas. Adelheid erhielt mal eine grüne Behördensache, und beide bekamen Karten von den Eltern: «Viele Grüße aus Badgastein». Ob es ihnen gutgeht, wurde gefragt und: «Was macht der Dichter?»

    Einmal kriegte das Löwenheckerchen einen französisch frankierten Brief, der wurde mitnichten vorgelesen bei Tisch, mit dem wurde türenschlagend nach oben gerast.

    Als Sowtschick am nächsten Tag, wie er es gelegentlich tat, die Zimmer revidierte, sah er, daß in Gabrieles sich allmählich dem Chaos annähernden Zimmer das Foto eines schwarzlockigen, unrasierten Jünglings stand. Es war ein Schnappschuß, der den Liebsten vor einer Kathedrale zeigte, schräg von unten aufgenommen, mit Tauben im Hintergrund. – Den Brief selbst konnte Sowtschick trotz vorsichtigen Anhebens von allerhand Papieren nicht ausmachen.

    Gern saßen die drei auch in der Laube. Hier machte sich der leiseste Windhauch angenehm bemerkbar.

    Vom Haus her waren knallende Geräusche zu hören, da arbeiteten die beiden jungen Schlosser, braungebrannt, muskulös. Der eine sang gern; sein liebstes Lied (mit allen Strophen) war: «Üb’ immer Treu und Redlichkeit». Der andere war mehr fürs Radio, der stellte die schlimmsten Schlager ein. Wenn das geschah, dann mußte Adelheid in den Keller gehen, zwei Flaschen Bier heraufholen und sie bei den Leuten gegen das Abdrehen des Radios eintauschen.

    Adelheid las gewöhnlich in der «Physiologischen Chemie» oder in einem Kochbuch, und Gabriele strickte. Beide machten sich Zöpfe, weil Sowtschick Zöpfe mit fünfzig Pfennig honorierte pro Tag: Und ewig währen die Tage der Liebe.

    Die Hunde lagen meistens neben der Laube, sie hatten ein Auge auf die Kaninchenterritorien, aber da rührte sich selten was. Wahrscheinlich wurde in den feucht-finsteren Katakomben mal wieder Nachkommenschaft geworfen oder gezeugt. Oder beides gleichzeitig. Bussard und Fuchs warteten schon.

    Einmal pro Tag erschienen die Pferdemädchen mit ihrem Pony. Sie abzupassen war gar nicht so einfach, denn sie hielten sich an keinerlei Zeiten, und Sowtschick ärgerte sich, wenn es ihm nicht

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