Hundstage
sammelte die Papierflugzeuge ein und ging den Bibliotheksgang auf und ab, treulich an die Glöckchen stoßend … Und er dachte, wie schön es ist, hier auf und ab zu gehen und an die Glöckchen zu stoßen, und wie schade, daß kein Biograph es überliefern würde, daß er hier, statt sich zu grämen über die Zurücksetzung, die er von der Jugend erfahren hat (Schlosser zog man ihm vor!), auf und ab geht in kontemplativer Beschaulichkeit. «In den langen, einsamen Nächten ging der Dichter in seinem Haus auf und ab und überdachte seine kostbaren Geschichten …»
Plötzlich schrak er zusammen. Eine Idee schlug auf ihn nieder! Er rannte den Gang hinunter und stürzte an den Schreibtisch! Ja! Richtig! Hier lag die Chance eines neuen Romans, einer entzückenden Caprice! Sich selbst als Maler darstellen, mit großem schwarzen Hut und zwei Mädchen, äußerst schlank, die um ihn herumstreichen wie Leoparden-Weibchen, durch das Atelier schnurrend – er hatte mal einen Film über Salvador Dalí gesehen –, und er, der Künstler, ein großes Werk vollbringend, ein Werk, das alles vorher Gemalte kümmerlich erscheinen ließ.
Sowtschick schrieb einen Bogen nach dem andern voll und schlug zwischendurch auf den Schreibtisch! Ja! Und lachte. Hier würde ein großer Stoff zu gestalten sein, ein Selbstbildnis von außergewöhnlicher Dichte!
Das Rasende seines Schreibens legte sich allmählich, der Fluß der Gedanken und Bilder ließ sich eindämmen und zur Ruhe bringen. Schließlich stockte Sowtschick, ging ans Klavier und spielte ein paar Takte, unterbrach, schrieb noch ein paar Wörter und stieß dann die Bogen auf. Ja, hier lag etwas Großes! Aber zuvor würde der Winterroman zu beenden sein, und dann die «Unheilvolle Nacht». Nur nichts überstürzen. Immer schön eins nach dem andern.
Er schob die Blätter in einen grünen Aktendeckel und verwahrte die Sache im Schreibtisch: «Projekt III» schrieb er drauf. Ab heute würde er sehr genau die Mädchen beobachten müssen, alles aufschreiben. Aber der Haken war, daß die Mädchen, die er beim Kunstmaler sah, zwei gänzlich andere waren. Bei denen handelte es sich eher um mondäne Geschöpfe, nicht um Jugend im eigentlichen Sinne, kein Löwenheckerchen und keine Kanalschwimmerin mit Pferdeschwanz oder Zöpfchen, Mädchen, die mit jeweils einem Ohrring zufrieden waren und sich auf die Disko freuten. Und außerdem lag das Haus des Künstlers nicht in Norddeutschland, sondern in Kalabrien.
Gleichviel, Sowtschick reckte sich und stöhnte auf! Was für ein herrliches Leben! Reichtum? Er würde, was seine Bücher anging, nicht auf die Abschilderung von Plutoniumfässern verfallen müssen, um seine Leser zu halten. Und ewig währen die Tage der Liebe: Er würde die uralten Themen der Menschheit ventilieren, und die Menschheit würde ihm das danken!
Er ging in die Fernsehecke, wo bereits die Hunde auf ihn warteten, und guckte sich den Schocker an, den ihm die Mädchen empfohlen hatten. Nur noch hin und wieder kam ihm der schöne Stoff in den Sinn, der ihn nach der «Winterreise» beschäftigen würde. Erst die «Winterreise» zu Ende schreiben, dann die «Unheilvolle Nacht» und dann den großen Stoff, den Stoff aller Stoffe. Er würde nicht in ein Schaffensloch fallen, das stand fest. Und es stand außerdem wohl jetzt schon fest, daß das ein großer Erfolg werden würde. Die Menschheit lechzte ja nach so was!
Den Schocker sah sich Sowtschick an, ohne im geringsten geschockt zu sein. Um eine Frau ging es, die telefonisch auf ihren Tod hingewiesen wird und diesem Tod im allerletzten Moment entgeht. Danach nahm er Anteil an der Talk-Show, in der Evamaria Deutsch und Hinrich Tengelmann, Chefredakteur des «Boulevard», zwei Dirnen interviewten: Daß das doch unglaublich schade ist, Aids, daß ihnen durch die beschissenen Maßnahmen der Scheiß-Regierung die ganze Existenz vermasselt wird, sagten die leichten Damen. Es saßen auch zwei wortkarge Catcher dabei, mit denen war schwer ins Gespräch zu kommen.
Wenn diese Fleischkolosse von den tödlichen Viren befallen werden, wie die dann wohl zusammenfallen! dachte Sowtschick, als er die da so sitzen sah.
Als Überraschungskandidat wurde der kleinen Runde der Schriftsteller Arnim Fischer präsentiert, den Sowtschick kannte. In den Sechzigern hatte dieser sich jetzt so feinsinnig gebärdende Mensch marschliedmäßige Kampflyrik verfaßt, in der zur Zerstampfung anderer Menschen aufgerufen wurde, die, wie Sowtschick, mit
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