Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
Wasserschierling, Birkhuhn und Schafstelze, alles schön und gut: «Ich schreibe meine Bücher», sagte er, «andere mögen auf die Natur achtgeben.» Aber Fingerling – vielleicht sollte man in dem Winterroman etwas anklingen lassen von diesen Öko-Sachen, dem gestreßten Wald, dem sinkenden Grundwasserspiegel, der Verminderung der Artenvielfalt? Vielleicht könnte sich Fingerling ja mit der schwarzhaarigen Geigerin darüber unterhalten?

    Nun kam er an eine Weggabelung. Hier betätigte er sich als Fährtensucher. Tatsächlich waren im Sand des Weges Hundespuren auszumachen, und zwar auf einem Weg, der, wie Sowtschick wußte, überhaupt nirgends hinführte als zu einem Schuppen in der Ferne neben jenem Eisenungetüm. Dort mußten die Mädchen sein. Sowtschick schaltete den Warnblinker ein, um zu signalisieren: Hilfe kommt! Und er fuhr den Weg mit mäßiger Geschwindigkeit dahin. Hauptsache, ich kann dort auch wenden, dachte er.

    In diesem Moment wußten die Mädchen, wie sie später sagten, daß sie gerettet waren: Das mußte Sowtschick sein, der da «angebrettert» kam, und er war es auch.

    Die Mädchen waren ziemlich aufgelöst. Dieser Spaziergang war ein totaler Sockenschuß gewesen! Mit roten Köpfen und verschwitzten Haaren saßen sie in der Tür der Baracke.

    Zum Spaß legte Sowtschick den Rückwärtsgang ein und tat so, als wollte er wieder wegfahren …

    «Kinder, wie seht ihr aus?» rief er und wehrte die Hunde ab, die augenblicklich ans Auto gesprungen kamen und ihn umwieselten. Sie wußten, daß er sie nach Hause bringen würde, kühlem klaren Wasser entgegen.

    Nun gab es Szenen aus dem Film «Durst». Sowtschick schleppte «Gabü» wie ein Wüstenopfer auf den Vordersitz, und sie tat ihm den Gefallen, sie mimte die Verschmachtende. Dann kam Adelheid an die Reihe. Sie kroch auf allen vieren zum Wagen und nahm dann seine Hand.

    In der Arbeiterbaracke übrigens stellte Sowtschick fremdartige Benutzungsspuren fest: Auf dem wackligen Tisch stand ein Blechteller mit Suppenresten unter handhohem Schimmelwuchs und eine Konservendose mit Kippen. Auf dem Boden waren zwei Lagerstätten hergerichtet aus Torfmull. Anscheinend hatten hier Penner gehaust, robinsonartig. Ganz romantisch.

    Mit einem Stöckchen zerstörte Sowtschick die Lagerstätten, und dann purrte er in dem Regal herum, das an der Wand hing, es löste sich und fiel krachend und staubend auf den Boden, Teller und Gläser zerbrachen. Einem momentanen Zerstörungstrieb nachgebend, schlug Sowtschick alles kaputt, was er fand, ja er zertrümmerte sogar die Fensterscheiben.

    Auf der Rückfahrt erzählten die Mädchen, wie es gekommen war, das Malheur: Sie hätten gedacht, der Weg durch den Torfabbau wäre eine Abkürzung, und das war natürlich Schwachsinn gewesen, damit hätten sie sich total in die Sokken geschossen.

    Jockel war in einen der Entwässerungsgräben gefallen, und sie hatten überhaupt nicht gewußt, wie sie ihn wieder herausbringen sollten, die Wände zwei Meter tief, glipschig, und ganz unten das Wasser … Schließlich hatten sie Torf hineingeworfen, eine Sode nach der andern, und Gabriele war hinuntergestiegen und hatte Jockel herausgeholt.

    «Na, Kinder», sagte Sowtschick, «das war ja ein richtiges Abenteuer.»

    Der Rest des Tages wurde im Schwimmgang verbracht, und abends fuhren sie nach Kreuzthal zum Chinesen. Das Restaurant befand sich in einem alten Bauernhaus, bunte Glühbirnen hingen in den Fenstern. Frühlingsrolle wurde bestellt, süßsaures Schweinefleisch, gebratene Entenbrust mit Sojakeimen und Krupuks, diese Knack-Angelegenheiten.

    Über die Kerze hinweg sahen sich die drei an, und Sowtschick empfing das Kompliment, daß er so ganz anders sei als ihr Vater, kein Mensch glaube, daß er schon sechzig sei.

    «Sag mir, wo die Blumen sind» – das war das Wunderbare, daß das Leben immer noch so okayhafte Überraschungen bereithielt. Hier jetzt mit zwei richtigen Sweeties zu chinesischer Musik die vertrauten Köstlichkeiten aus Fernost zu genießen ? Und darüber hinaus noch liebliche Gedanken hegen an die nassen kleinen Raubritter, Rita und Sabine, an ein Kapitel, das sich noch nicht erledigt hatte?

    In der Frühlingsrolle und in dem süßsauren Schweinefleisch, den Nummern 21 und 103 der Speisekarte, wär jede Menge Glutamat, referierte Adelheid jetzt – das töte graue Hirnzellen.

    Nun ja, einmal im Jahr, dachte Sowtschick, das würde das Gehirn schon noch mitmachen. Fünfzig Prozent wurden ja sowieso nicht

Weitere Kostenlose Bücher