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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gebraucht. Ein schrittweiser Abbau von Unterleibspotenzen würde schwerer wiegen.

    Was er denn für eine hübsche Hose anhat, wurde auch gefragt. Unten mit Schlag. Die sei wohl noch von vor dem Krieg?

    D je Sonne stand hoch über Sassenholz, Sowtschick fühlte sich jung und voller Tatenkraft. Wie die Hunde, so war auch er frisch gebürstet, wenn er auch kein blaues Schleifchen trug: Ein Kettchen trug er um den Hals, mit einem Anker dran. Er hatte sich diese Kette mit dem Anhänger vor vielen Jahren gekauft, um sich bei Anfechtungen, die sich außerhalb der Ehe ab und zu näherten, daran zu erinnern, daß er bereits vor Anker gegangen war – was ihn leider nicht vor Unregelmäßigkeiten bewahrte. Die Hotel-Sache mit Carola Schade zum Beispiel, diese irgendwie mißglückte Angelegenheit. Als sie in dem geblümten Hotelzimmer endlich zusammengefunden hatten und heftig atmend die entblößten Oberkörper einander näherten, war es Carolas übergroße Neugier gewesen, die das Treffen mißglücken ließ. Mit dem Finger hatte sie den Anker angeschubst, obwohl er mehrmals warnte: «Laß das bitte.»

    Die Pferdemädchen lagen Tag für Tag mit hochgestellten Schenkeln vor dem Videoapparat und sahen Trickfilme. Sowtschick mußte sich jedesmal dazulegen, das verlangten die Mädchen. Er nannte sie seine beiden Raubritter, und sie neckten ihn ein bißchen, nahmen ihm die Brille ab und faßten mit den Fingern aufs Glas – kurz, alles Unternehmungen, die Sowtschick sich gefallen ließ, Schneeweißchen und Rosenrot: harmlose Scherze. Sie spielten mit dem Feuer, die beiden, ohne zu ahnen, worum es sich dabei handelt. Und Sowtschick, der sich mit dem Feuer auskannte, ließ während der Rangelei flink die Augen schweifen, ob nicht vielleicht Erika auf die Idee käme, ihm wieder mal die Teufelsmaske zu zeigen, oder ob Gabi ohne zu klingeln den Büchergang herunterschliche, um zu fragen, ob dies Gedicht hier, was sie hier eben so in einem Zug hingeschrieben hat, nicht unheimlich in Ordnung wär. Auch hätte die Möglichkeit bestanden, daß die Schlosser ins Haus eingedrungen wären mit der Frage, wo denn nun eigentlich die Gitter anzubringen sind. Deshalb also spitzte Sowtschick die Ohren und ließ die Augen schweifen, während die Mädchen sich anschickten, ihn mit ihrem Pony zu verwechseln. Schließlich hielt Sowtschick es aber doch für besser, die Angelegenheit hier abzubrechen, er wurde «ernst», und er schüttelte die beiden ab.

    Er ging hinaus zu den Schlossern, handelte für eine Schachtel Zigaretten das Abstellen der Schlagermusik ein und setzte sich an den Schreibtisch, das Kettchen um den Hals: Zeile um Zeile schrieb er, zunächst noch heftig atmend, dann ruhiger werdend, «flott» war kein Ausdruck. Die Stadt im Gebirge, Schnee, der Louis-seize-Sessel, Elisabeth von Kahlen-Wottrich und Ulrike, die Geigerin – immer tiefer drang Sowtschick in seine Geschichte ein, er schwelgte in Beschreibungen von Antiquitäten, beziehungsvoll, metaphernreich. Er war nun auch schon ganz zu Hause bei Ulrike, der kleinen Geigerin mit dem Kranz um den Kopf: Was Anthroposophisches schwebte ihm vor, Geigenspiel und Hagebuttenmarmelade, ein verwilderter Garten. Und während sich die Pferdemädchen an Tom & Jerry ergötzten, hatte Sowtschick plötzlich eine Idee: Fingerling war doch Schriftsteller, er müßte ebenfalls etwas schreiben, und zwar eine Erzählung, in der er die Antithese zu Sowtschicks Problemen lieferte.

    Gerade als er auf diesen Punkt gekommen war – es rieselte ihm den Rücken hinunter, wie immer in großen Momenten – , an einem Vormittag um Viertel vor elf, als er sich eben überlegte, es wäre doch originell, wenn sich Fingerling im tiefsten Winter ausgerechnet eine Geschichte ausdenkt, die im heißesten Sommer spielt, vielleicht an der See irgendwo, am Meer, unter gischtenden Wogen, als er nach dem Tagebuch griff, um es einzutragen, das große Ereignis: «Weiterbringenden Einfall gehabt…» – da klingelte das Telefon. Der «Linden»-Wirt war am Apparat: Da seien ein paar Senioren, die hätten in der Dichterecke seine Bücher gesehen und sein Foto, ob die nicht eben mal das Haus besichtigen dürften?

    Sowtschick schrie nicht «Nein!» wie er es neulich getan hatte, wodurch ihm die Freifrau von Bodenhagen durch die Lappen gegangen war, mit ihren reitlustigen Töchtern. Er sagte: «Wenn’s unbedingt sein muß» oder so was Ähnliches. «Aber dann bitte sofort.» Er stellte es sich interessant vor, ältere

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