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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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vorübergeht, in der Betrunkene grölen. Die Bachsche Kantate müßte über dieser Szene liegen, von Silvestergeschrei überlagert und vom Craquéle der ersten, brutal explodierenden Feuerwerksraketen durchschnitten.

    Nachdem er dies alles niedergeschrieben hatte (auch an die Kritiker dachte er dabei, die das Buch eines Tages zu beurteilen hätten, und er sah sie nicken oder den Kopf schütteln), fiel ihm der Walfisch ein, der sich in die Elbe verirrt hat. Wie, wenn er in den Winterroman die Geschichte dieses Tieres collagierte? Walfisch gleich Fingerling? Verirrt sich in fremde Gewässer und findet am Ende doch noch glücklich heim? Mit anderen Drucktypen könnte hier gearbeitet werden, um dadurch bei den Lesern einen schon beim ersten Durchblättern wahrnehmbaren progressiven Eindruck zu erwecken.

    Nun, dies brauchte jetzt nicht entschieden zu werden. Das könnte man ja jederzeit noch einmontieren, dann nämlich, wenn Not am Mann wäre, wenn das gesamte Vorhaben den von Hessenberg gewünschten Zweihundertachtundvierzig-Seiten-Mindestumfang nicht erreichte.

    In diesem Augenblick kam Sabine, das dunkelhaarige Pferdemädchen, ob er den Apparat etwas lauter stellen kann und: «Was schreibst du da?» Kam näher und fragte, ob das ein Buch wird, und ob er ihr was vorlesen kann?

    Nun, das ging natürlich nicht, die Beschreibung eines Kirchenkonzerts würde dieses Mädchen nicht fesseln, und daß sie nun auch noch zu blättern begann in seinem «Fuchsbau» und die kostbaren Wiener Bronzen in die Hand nahm, den Hahn und die beiden Hennen, und womöglich fallenließ ? Das gefiel ihm nicht so sehr. Also, am besten, bevor noch wirklich Unmut sich einstellte, aufstehen und kameradschaftlich tun, den Arm auf ihre mageren Schultern legen, na ja, und mit ihr hinübergehen und den Apparat einen Tick lauter stellen.

    Die zwei verlangten nun, er solle auch mitgucken, sie hatten es sich auf seinem Sofa bequem gemacht, die langen Schenkel hochgestellt. Er mußte sich zwischen sie setzen und die Klamaukfilme mit ansehen, die er schon oft hatte angukken müssen, auf Silvesterpartys nach Mitternacht. Während Katze und Maus einander jagten, waren seine Gedanken noch bei Fingerling, dann aber ließen die Energien nach, und er ward sich des jungen Fleisches bewußt, das da ziemlich dicht neben ihm in abgewetzten Leinenshorts duftende Wärme ausstrahlte. Auch er stellte die Schenkel hoch – seine verwaschene Verführungshose –, und es gefiel ihm, die beiden sacht, wie unabsichtlich zu berühren.

    Schneller Fuß und Pfeilmädchen, an Jugendbücher mußte er denken, an junge derbe Körper, die in wenigen Monaten sich wandeln würden, von Lebenskräften plangemäß gebrochen, um ihrer höchsten Blüte entgegen, in Schönheit hineinzuwachsen. Das, was jetzt so wild-jungenhaft war, würde sich zurückziehen und langweiliger Zahmheit weichen oder gar – was schlimmer wäre – ins Zänkische transponieren.

    Auch die Mädchen berührten ihn, sie schaukelten ihre Schenkel mit seinen gemeinsam – doch plötzlich riß es sie hoch: «Wie spät? Was, schon zwölf? Nun aber ab die Post!»

    Sie liefen davon. Sowtschick blieb noch eine Weile liegen. Das Gerat hätten sie zumindest ausschalten können, und die Kissen auf dem Lottersofa wieder richtig hinlegen. Und daß sie von seinem kostbaren Lakritzkonfekt gegessen hatten, war auch nicht so ganz in Ordnung …

    Sowtschick lauschte in das Haus hinein. Merkwürdig, von Addie und Gabü keine Spur, auch von den Hunden nicht. Von draußen war die Schlagermusik der Schlosser zu hören: Das würde abzustellen sein.

    Er trug sein Frühstücksgeschirr in die Küche, die nicht gerade glänzte. «Oh, Ordnung, sel’ge Himmelstochter», sagte er und räumte die Spülmaschine leer. Die Speisekammertür stand offen – die Fliegen mußten einzeln herausgebeten werden. Eben noch die Tische abwischen und den Kartoffelkorb wegstellen.

    Sowtschick sah im Garten nach, ob sich die Mädchen da vielleicht sonnten. Er pflockte die Schafe um – «So’n Viehzeug bringt viel Arbeit!» riefen die Schlosser, die sich anscheinend wegen der Disko-Sache bei ihm anbiedern wollten –, trat Disteln mit dem Hacken aus und schlug das Wasser ab, an der dafür vorgesehenen Stelle. Erikas Höhle war leer, wie ein Urmensch hatte sie es sich hier eingerichtet, ein alter Teppich hing vor dem Eingangsloch, und innen drin lag Stroh. Wo mochte sie sein? Vermutlich streifte sie im Wald umher, wie sie es öfter tat.

    Sowtschick

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