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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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müßte ich meine Bücher schreiben, dachte Sowtschick, als er sie da spielen sah, ganz ohne auf Leuchtzeichen zu achten, keine Bilder ins Wort erlösen, keine Bedeutung anheben unter die Decke der Erscheinungen.

    Die Mädchen erwachten aus ihrem Spiel. Sowtschick sehen und ans Fernsehen denken, das war eins. Ob sie sich eine Kassette ansehen dürften? fragten sie.

    «Nachher», sagte Sowtschick.

    Er schleppte sich ins Haus und holte die Minolta. Diesem Tag mußte doch noch etwas abzuzwingen sein? Und dann machte er stehend, kniend, liegend von den Pferdemädchen und ihrem «Feldmannschar» eine Aufnahme nach der andern, und er dachte dabei, wie schön es sein würde, wenn er sich die Fotos eines Tages in seiner Fluchtburg ansieht: Dieses Hocken, zum Beispiel: die hochgestellten Schenkel und die krummen Rücken, die unter den Shorts hervorlugenden Höschen, der aufgegangene Zopf, schmutzige Hände. Als Kind hatte er eine Freundin gehabt, ein Nachbarskind, namens Elke. Daran dachte er jetzt, und er sagte laut: «Schade. » Während er da so kniete und durchs Objektiv peilte, guckten die Schlosser um die Ecke.

    «Na, fotografieren?» sagten sie.

    Nachdem er alle Filme verknipst hatte, holte er den Schlossern Bier und handelte dafür das Abschalten des Radios ein. Er schickte die Mädchen ins Haus, Fernsehen gucken, und setzte sich in die Laube. Von hier aus konnte er Bemerkungen von Vorübergehenden aufschnappen, von Leuten, die stehenblieben und sich gegenseitig erklärten, was Sowtschick für ein Mensch ist. «Eene Milljon hätt’ hei all full!», so in diesem Stil, oder: «Hei hett’n Vagel.»

    Heute kam jedoch kein interessierter Passant vorbei. Ein Lkw der Bundeswehr hielt, Wehrpflichtige sprangen von der Ladefläche, um «auszutreten», und zwar an seinem Zaun.

    Mit Schrecken dachte er daran, daß am nächsten Tag die Barthold-Hinrich-Brockes-Jury tagte, und er hatte noch immer nichts gelesen. Lustlos blätterte er in den Büchern von Autoren, die ihm von der Jury zugesendet worden waren: «Ebenheiten» und «Tiefenrausch», so hießen die Bücher, und sie handelten davon, daß einer schreiben will und nicht kann, und daß er dieses Nicht-Können beschreibt, was ihm gottlob mißlingt, weil das Nicht-Können eine höhere Qualität ist als das Schreiben-Können. – Andre Autoren litten an den gängigen Problemfeldern, und wieder andere schachtelten sich die Schweinereien der Nazis zu grotesken Unmöglichkeiten zurecht. Nazis? Damit konnte er dienen. Tief lag es verborgen in der Brust, beharrlich sich jeder Auswaschung widersetzend. Sosehr er auch sein Kaleidoskop schüttelte, die häßlichen Steinchen zwischen den blau-gelb-roten fielen nicht heraus. Vielleicht könnte man einiges davon Fingerling unterschieben ? Und damit loswerden, für immer? Das mußte dahingestellt bleiben. Das konnte nicht an einem Tag wie diesem entschieden werden. Auf dem Tisch lagen die zum Teil noch eingeschweißten Absonderungen von jungen Leuten. Morgen mußte er sich der Jury stellen, und er konnte sich auch jetzt nicht zur Lektüre dieser «Halbsachen», wie er sagte, zwingen. Ausbrennen würde er diesen Auswuchs von Literatur, das nahm er sich vor, weil er von jungen Menschen stammte, die nichts erlebt hatten, sondern Neorichtungen anhingen und vor sich hin faselten und ihn darüber hinaus noch einen konservativen Sack nannten.

    Stipendien, Förderpreise, Studienaufenthalte? Hatte ihm damals einer geholfen? Als er angefangen hatte, «seine Visionen ins Wort zu erlösen», hatte er tagsüber bei Buchhändler Röwekamp Bücher abstauben dürfen. Marianne war es gewesen, der er den Anfang zu danken hatte, einzig und allein.

    Trotz der Hitze fand sich der Sozialfall ein. Erika hatte genug geschaukelt, war ausreichend lange einsam gewesen und nahm sich jetzt den Alten aufs Korn. Durch «Wegjagungen» gewitzt, näherte sie sich von unerwarteter Seite, bog die Zweige auseinander und stand plötzlich neben ihm, und als sie erst mal da war, wurde er das nach Zwiebeln riechende Kind nicht wieder los. Sie stellte sich hinter ihn und stieß ihm die Brille an den Bügeln nach vorn, löste ihm die Schnürsenkel, all diese herrlichen Sachen.

    Ob wieder Busse mit Opas kämen, wollte sie wissen, und dann mußte er sich bereits auf die Brille fassen und vom Stuhl drängen lassen.

    Die Pferdemädchen hatten keine Gemeinschaft mit Erika, die war für sie ein «Idi». Und die beiden Großen, die schon mal einen ganzen Tag an sie gewandt

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