Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski

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lockerlassen…

    Sowtschick wachte davon auf, daß Regen auf die Velux-Fenster prasselte. Blitze zuckten und Donner krachte. Sturmwind rüttelte an den Dachziegeln: Feuerschiff Elbe I!

    Zwischen zwei Blitzen öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer, die Mädchen kamen herein. Ob das Haus einen Blitzableiter hat, wollten sie wissen, und er sagte ohne weiteres: «Kommt her, Kinder, kommt, hier seid ihr sicher.» Alle drei lagen sie dann nebeneinander und lauschten dem Regen, und sie hofften inständig, daß der Blitz, der sich da eben entladen hatte, der letzte gewesen ist. Sowtschick fühlte, wie die beiden zitterten, und er zitterte auch, und ganz von selbst kam es, daß sie sich ein wenig aneinanderdrängten: Den Kopf legten die Mädchen beherzt auf seine Schultern. Die kühlen, sich allmählich wärmenden Mädchenkörper, Apfel-Shampoo, Nivea-Milch. Hier flirrte ein kleiner Finger, dort ein großer Zeh.

    Sowtschick versuchte, die Mädchen abzulenken von dem Gekrache, indem er von Petrus sprach, der wieder mal kegelt, und er deklamierte Arno Holz: «Een Boot is noch buten». Er nahm sich vor, ihnen morgen die «Pastorale» vorzuspielen und zu interpretieren. Das würde nach diesen Eindrükken auf fruchtbaren Boden fallen. In all dem Gekrach und den Regen-Trommel-Wirbeln bedauerte er es, daß in seinem Schlafzimmer immer noch Möbel der Erstausstattung standen. Die geflammte Frisiertoilette war ja direkt peinlich. Wie schade, daß die Tür zu seinem Kabinett nicht offenstand, so mußte man den Raum dort für das halten, was er ursprünglich gewesen war: für eine Wäschekammer und nicht für ein Refugium mit seltenen Schätzen.

    Krach! Bruch! Donner, donner, donner …

    Hinauslauschend in die Naturgewalten, erzählten die drei einander Kindheitserinnerungen von Gewittern, die auch alle sehr barbarisch gewesen waren.

    «Vor den Eichen sollst du weichen.»

    Sowtschick bot die Story von dem Mädchen Freddy dar, mit dem er am Strand gesessen hatte, der plötzlich aufkommende Orkan, weit draußen Ölbohrinseln und Tanker, und die gemeinsame Flucht in einen Bootsschuppen; «lonesome», das Wort war ihm haftengeblieben.

    Er nahm je ein Ohrläppchen der Mädchen und rieb daran, so wie es früher sein Zahnarzt mit dem Amalgam-Zäpfchen getan hatte.

    «Freddy?» fragten die Mädchen, er habe wohl an jedem Finger eine, was?

    «Im Augenblick ja», sagte Sowtschick und fuhr fort, an ihren Ohrläppchen zu reiben, und die Mädchen freuten sich, daß er so schlagfertig ist.

    Sowtschick dämpfte seine Stimme und sprach von dunkeln Gestalten, die nachts um sein Haus herumschleichen, mit Messer in der Hand, und daß es schon gang und gäbe wär, in dieser Gegend, daß Mörder in Häuser eindringen und die Insassen abschlachten und daß das Blut die Treppenstufen hinuntertropft.

    Dies jagte Schauerstürme durch die Mädchenkörper, und als er dann noch seine Stimme ins Grauenhafte verstellte und ihnen an die Hälse griff, schrien sie auf.

    Schließlich fragten sie aber doch: Das Glas Wasser auf dem Nachttisch, ob er da sonst sein Gebiß immer reintut? Und schon mußten sie wieder still sein, denn wieder krachte es: und zwar unmäßig. Das mußte ganz in der Nähe gewesen sein.

    Auch die Hunde kamen nun herauf, Stufe für Stufe, sie machten Anstalten, ebenfalls in Sowtschicks Bett zu springen. Nun, das gab Anlaß zum Lachen. Die drei hüllten sich in Bademäntel und stiegen die Treppe hinauf, unters Dach, und von dort aus gab es ein Schauspiel zu sehen, das als «fetzig» bezeichnet wurde. Zuckende Blitzgeäste erhellten für Zehntelsekunden den Garten. Die Schafe standen gottergeben unter der Trauerweide, sie hielten den Kopf gesenkt. Die Regentropfen fielen nicht einfach vom Himmel, sondern sie schossen herunter, in Schwällen sich steigernd als sogenannte Bindfäden. Zwischendurch wurde das Geprassel schwächer, so als habe einer den Hahn abgestellt, und dann ging’s wieder von vorne los. Sosehr die drei gehofft hatten, daß das Unwetter endlich vorübergeht – vor diesem grandiosen Schauspiel hofften sie, daß es noch recht lange dauert.

    Leider wurde in den Blitzsekunden sichtbar, daß die Sitzpolster der Gartenstühle nicht hereingeholt worden waren: Sie würden sich nun voll Wasser saugen. Der Sonnenschirm war umgefallen und spießte seine Gräten durch die rote Leinwand.

    Das sind eben Sachen, die nicht passieren, wenn Marianne da ist, dachte Sowtschick.

    A ls sie da so am Fenster standen, zusammenschauernd im