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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hatten, mit den idealsten pädagogischen Bemühungen (es müsse doch gelacht sein, wenn sie die nicht wieder hinkriegten), rührten sich nicht, wenn sie erschien. So blieb die Sache auch diesmal wieder an Sowtschick hängen. In der Laube saßen sie beide am runden Tisch, er, der Verfasser der «Wolkenjagd», die Fliegenklatsche in der Hand, und das ewig grinsende Mädchen, gerupftes Haar, Brille und inwendig herzkrank, ihn vom Stuhl drängend.

    Er nahm die leere Minolta vors Auge und tat so, als ob er sie fotografierte, mal von links, mal von rechts, und ihr gefiel das sehr. Durch die Kamera sah das Mädchen älter und herber aus, fast wie ein Junge. Sowtschick bedauerte es, daß er keinen Film mehr hatte. In amerikanischen Fotobüchern waren solche Menschenkinder zu sehen, im Mittleren Westen. Indian Summer, verwahrloste Holzhäuser, Kinder, die in einem Autowrack spielen … Nächste Woche unbedingt das Mädchen knipsen – merkwürdig kam es ihm vor, daß er erst jetzt daran dachte.

    Ob er sie mal wieder in den Keller sperren soll? fragte er. Eine Matratze hätte er schon hineingelegt, Brot und Wasser? Sie hinunterstoßen, in eine Ecke schmeißen und einschließen? – Alle möglichen Torturen malte er dem Kinde aus, diesmal würde er sie nicht so schnell wieder herauslassen! Und er tat das mit freundlichem Gesicht, so daß die beiden Großen da hinten, unter ihrem Sonnenschirm, sich schon wundern mußten, wie pädagogisch er ist.

    Erika grinste, weil sie das immer tat. Trotz ihrer Blödigkeit hielt sie aber doch «gegen», erfand allerhand Rettungsaktionen und Gegenaktivitäten.

    «Smitt di eenfach hän …», sagte sie, «hal mi een Steen un balle di an’n Kopp …»

    Sowtschick stand auf und sagte: «Komm mal mit!» Er packte sie im Nacken und schob sie in den hinteren Teil des Gartens. Dort zeigte er ihr einen Haselnußstrauch und wies auf eine Gerte. Die werde er abschneiden, wenn es soweit sei, und damit werde er sie prügeln.

    Das Mädchen sagte: «Datt schaffs du ja doch näch …», machte sich los und rupfte Kirschen vom Baum. Sowtschicks schöne Kirschen! Ja, sie kletterte sogar in den Baum hinein und spuckte ihm Kerne ins Gesicht. Sowtschick griff nach ihren nackten, geschundenen Füßen und zog sie herunter. Es gab eine Balgerei, bei der sie plötzlich nach seiner Halskette griff und sie abriß. «Datt beholl ick!» rief sie und lief davon.

    Sowtschick saß im Gras und war verdutzt. Seine Hände waren klebrig von der Fußberührung, und auf dem Hemd hatte er blaurote Kirschsaftspritzer. Im Gras saß er, und die Sonne knallte herab.

    Dort, wo die Kette gesessen hatte, brannte die Haut. Na, laß sie, dachte er, das Ding krieg ich schon wieder.

    Er ging ins Haus. Dort saßen die Pferdemädchen mit glühendem Kopf vor einer Bunny-Kassette. Aus dem Schwimmgang hörte er Kreischen, das waren die beiden Großen. Nun, baden, das war eine gute Idee! Sowtschick duschte sich überpedantisch (um zu zeigen, wie man das macht), und dann stieg er zu ihnen in den künstlichen Bach hinein. Die Mädchen nahmen zunächst Reißaus, so als habe er vorgehabt, sie zu verfolgen, dann kehrten sie um und machten mit Pingpongbällen, die aus Gründen der Dekoration auf dem Wasser schwammen, Zielwerfen nach seinem Kopf. Er spielte Walroß, tauchte sie an und griff nach ihren Beinen, was wiederum Kreischen auslöste und allerhand Geplansche.

    Es dauerte nicht lange, und auch die Pferdemädchen kamen angelaufen und sprangen ins Wasser. Der Lärm war unbeschreiblich.

    Die Enge des Schwimmgangs brachte manche Berührung mit sich, zunächst unabsichtlich, dann kalkuliert, es gab Verfolgungen, und Sowtschick hatte viel zu erdulden. Besonders die Pferdemädchen hatten es auf ihn abgesehen. Sie wollten unbedingt auf seine Schultern steigen.

    Plötzlich stand Herr Rademacher, ihr Vater, am Rand des Beckens. Grade hatte Sowtschick sich die kleine schwarze Sabine aufgeladen, da stand dieser Mann, der von der Arbeit kam, unvermittelt und ziemlich humorlos da. Ohne guten Tag zu sagen, verkündete er, daß das hier ja ein kurioser Zirkus sei, und wenn die beiden nicht sofort mit nach Hause kämen, kriegten sie was «hintere Löffels».

    «Datt is hier ja ’n kuriosen Zirkus.»

    Dies war ein Mißklang, und Sowtschicks Laune schlug um. An seine «Abrackerungen» dachte er, Tag für Tag, an die Löcher im Gefäß seiner Einkünfte, und daran, wie gut er es meint mit der Jugend, daß er sie fernsehen läßt und baden, ohne daß

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