Hundstage
oder in der «Kunst der Fuge», wenn da die Musik plötzlich abbricht.
Wer weiß, wie lange sie noch so gesungen hätten, am Ende gar das Deutschlandlied, wenn die Busfahrer nicht gekommen wären: Das geht aber nicht, hier stundenlang singen, nun mal fixing! Hopp-hopp-hopp! Das Hünengrab stand doch noch auf dem Programm, das «Fron-Hus» und der Torfabbau der Firma Senneschalk.
So nahm Sowtschick denn Abschied von den Leuten, die ihm nun liebenswerter erschienen, einem nach dem andern die Hand drückend. Ungeduldig wurde er erst wieder, als eine alte Dame das Defilee behinderte, indem sie ihm erzählte, sie stamme aus Preußisch-Eylau, ob sie ihm mal ihre Fluchterlebnisse schildern dürfe? Davon könne er dann ja ein Buch schreiben und am Ende sogar einen Film machen?
Und vollends ungehalten war er, als einer der Schlosser nochmals an ihn herantrat, und zwar der ruchlosere von den beiden, und sagte: «Also, wie ist das nun mit dem Buch?» Wenn er kein Buch mitbringt, dann kriegt er von seiner Mutter Ausschimpfe.
Sowtschick ging an ein Schränkchen, von dem er wußte, daß es absolut leer war, öffnete es und sagte: «Schade! Grade keins mehr da!»
Als alles vorüber war, als die abgerissenen Glocken wieder an ihrer Stelle hingen und auch der letzte Greis aufgestöbert worden war – die Hunde eilten überfreundlich herbei –, sank sich die kleine Mannschaft in die Arme: «Das glaubt ja kein Mensch.» Erika sprang auf Sowtschicks Schoß, begann mit ihm in einer momentanen Verwirrung zu schmusen, und Adelheid erzählte, daß sie sogar welche von der Treppe hatte herunterziehen müssen – «ich dacht, ich krieg ’n Föhn!» –, die hatten auch «die oberen Gemächer» sehen wollen, wie sie sich ausdrückten. Wo denn die Frau stecke, war gefragt worden, und ob sie Sowtschicks Töchter seien?
«Will hei sick ’n Bort wassen laten?»
Und ob das stimmt, daß Sowtschick Millionär ist?
Die Fenster wurden geöffnet, um Zigarren-und Schweißgeruch hinauszulassen, dann wurde überlegt, wie man Sowtschicks Existenz kommerziell nutzen könnte, wenn er einmal tot sei: Ansichtskarten drucken, das Stück für fünfzig Pfennig, und «Die Hände des Dichters», ein Gipsmodell in Serie, Pantoffeln ausgeben, damit die Fliesen geschont werden. Ein Café eröffnen, warum nicht, mit Hawaii-Toast und Strammem Max.
«Und dann einen Ponyhof …», sagten die Pferdemädchen. «Die Stunde zehn Mark …»
Noch lange lag ein Schwall von verbrauchtem Dieselkraftstoff über dem Anwesen, von den Omnibussen gegen das Haus geblasen, die Fenster mußten offenstehen, um die atmosphärischen Rückstände der Menschen herauszulassen, die sonst in den Ritzen der Holztäfelung haftengeblieben wären. Bedauerlich war es, daß der große Schlüssel verschwunden war, den hatten die Senioren anscheinend mitgehen heißen, der «donkey» also. Nun, nicht weiter schlimm, auf dem nächsten Flohmarkt würde man Ersatz beschaffen.
Das Schwimmbad als Jungbrunnen, schade, daß sich das Alter nicht wie ein kalbender Gletscher ins Wasser stürzen ließe, eins zu werden mit dem kühlen Element und wieder daraus aufzusteigen, jung, glatt und schier …
Was seinen Tod anging, die Aufbahrung im Studio, das wußte Sowtschick nun, daß es nicht nur zwei Mädchen sein würden, die neben seiner Bahre stünden, hier wären auch die Pferdemädchen einzusetzen. Zwei zu meinen Häupten, zwei zu meinen Füßen, dachte er. Erika nicht, die würde auszusondern sein. Dieses Kind paßte irgendwie nicht ins Bild.
H ochsommer: «Das Land ächzt unter einer Hitzewelle», lautete die Schlagzeile des «Kreuzthaler Tageblattes», man solle Wasser sparen, und vom Verkehr wurde gesagt, daß er zusammenbricht, da sämtliche Urlauber gleichzeitig starten, und zwar im Morgengrauen, weil alle denken, alle fahren nachts.
Marianne hingegen schrieb, daß es auf der Isle de Camps recht einsam sei und daß es schon seit Tagen regne, und sie wisse nicht, was sie da soll, eigentlich wär es doch ganz unnatürlich, sich zu trennen, wer weiß, wie lange man sich noch hat … Wie gut, daß sie sich was zu lesen mitgenommen habe … Das Buch von Holderbusch fände sie ganz gut. Und: Sie verstünde gar nicht, was Alexander gegen ihn hat?
Holderbusch? Nun, dieser Mann hatte Sowtschick einen konservativen Sack genannt, mit dem er sich nie an einen Tisch setzen würde, das war es, was Alexander gegen ihn hatte.
Sowtschick zog in seinem Haus die Vorhänge zu. Er saß am
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