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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Schreibtisch, ganz in Weiß, und mit der Fliegenklatsche wedelte er sich Luft zu. Gash danged! Diese Temperaturen machten ihm zu schaffen, sein Körper reagierte mit Übelkeit und Atemnot. In der sich steigernden Hitze kamen ihm Visionen des Abdrehens: sich plötzlich ans Herz greifen, vom Stuhl rutschen und wie mit dem Dimmer das Leben endigen: Es reißt dich noch einmal empor, und dann sinkst du in Spiralen zu Boden.

    Es half ja nichts, er mußte weiterarbeiten. Soviel Geld er auch verdiente, aus tausend undichten Stellen rieselte es heraus: Die Sicherung seiner Fluchtburg, Mariannes Reise nach Jott-weh-deh, Susis Unterhalt, die Stuttgarter Schuldentilgung – gegen all das konnte er wahrhaftig nicht anverdienen: Sein Konto bei der Bank hatte die peinliche Tendenz, ins Minus zu rutschen, sooft er es auch auffüllte.

    Sowtschick dachte an die Sommerprosa, die sein Schriftstellerdouble im kalten Hochgebirge schreibt: «Flut». Eine Frau bricht zur Selbstfindung in den sonnigen Süden auf. Selbstfindung? Eher das Wegschwimmen von Fellen fand hier wohl statt, das Abdriften des Lebensfloßes, dem Katarakt entgegen. Doch diese Vorstellungen drängte Sowtschick zurück. Er dachte an Brandung, die ans Ufer schlägt, und an das turnusmäßige Abschwellen und Ansteigen des Ozeans.

    Bis zum Hals steht’s ihr, dachte er dann aber doch.

    Er nahm eine Schachtel mit Buntstiften, spannte einen weißen Bogen auf das Schreibbrett und entwarf den Schutzumschlag von Fingerlings Erzählung. Er zeichnete eine Frau von hinten, die auf einem Felsen steht und aufs Meer hinausschaut.

    Gottfried Fingerling
FLUT
Asche-Verlag

    schrieb er mit Druckbuchstaben so halb auf die Zeichnung drauf. «Flut …» Dann zeichnete er noch Quellwolken in den Himmel mit einer Sonne dahinter: Drohend geriet ihm das Ganze.

    Nachdem er den Umschlag entworfen hatte, begann er aus Studiengründen sogar den Anfang des ersten Kapitels zu schreiben: «Es war an einem warmen Sommertag, Annemarie stand auf den Klippen des Meeres, hoch über den schäumenden Wogen …» So schrieb er, und dann erzählte er von lauem Wind, der ihr das Haar nach hinten wirft, Segelboote in der Ferne … Und während er das schrieb, verschob sich das Bild ein wenig, und das Mädchen Freddy war es, das da auf den Klippen des Meeres steht, ihm zuwinkt und ins Wasser springt, die Arme wie ein Vogel ausbreitet, die muskulösen Beine stramm zusammen, und greisenhaft kam er sich vor, vor soviel Jugend.

    Zurück zu Annemarie – Alexander mußte sich zur Ordnung rufen – , daß sie die schäumenden Wogen betrachtet, soweit war er bereits. Vielleicht steht jemand in der Ferne und beobachtet sie mit einem Fernglas? Ein Mann, der ihr nachsteigt, schon seit Tagen?

    Die Sache rundete sich. So wie ihm heute Ideen gekommen waren, so würden ihm auch fernerhin welche kommen – und das würde auch nötig sein.

    Nachdem er Weiteres skizziert hatte, war es aus mit seiner Inspiration. Das plastische Vorstellungsvermögen flachte ab, die Farben verblaßten und verschwammen im Grau. Seufzend zählte Sowtschick die Seiten seines Manuskripts, und er kam auf einundsiebzig.

    «Ganz schön», sagte er, «Hessenberg wird sich freuen.»

    Doch was nun? Gebadet hatte er schon. Im Fernsehen standen Testbilder, von Pfeiftönen unterlegt. Klavierspielen mochte er nicht, und vom Bücherlesen befürchtete er Abnutzungen des Sehnervs. So gut konnte Literatur gar nicht sein, daß er Blindheit dafür riskierte.

    Sowtschick stand mitten im Studio: in saecula saeculorum. Sosehr sein Haus auch einem Kloster glich – der Büchergang als Kreuzgang –, aber da war kein Halt. Das Ewige fehlte. Wenn es gelänge, ein Symbol für das Ewige zu finden, dann wäre alles gut.

    Obwohl Sowtschick überlegte, er fand jetzt auf die Schnelle kein Symbol für das Ewige, dem er einen Altar hätte errichten können. Die Standuhr aufziehen und die Blumen gießen, das blieb ihm. Und zu den Mädchen gehen: Wo steckten sie?

    Sowtschick ging hinaus in die knallende Sonne: Notizen machen für Fingerlings Flutroman. Wie war eigentlich Sommer? Was heißt Hitze?

    Es war so heiß draußen, daß er zurückprallte. «Schwefelsäure pur» war gar kein Ausdruck. Sein kleiner Park, mit Mariannes Öko-Ecke und der grünen, von Rosen umrankten Laube lag im weißen Licht der stechenden Sonne, als ob er einen Schlag erwartete. Die Hunde hechelten im Gebüsch, und die Mädchen ruhten, Sowtschicks Hüte auf dem Kopf, unter dem roten Sonnenschirm

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