Hundstage
frischnassen Luftzug (die Mädchen ließen es zu, daß er seine Arme um sie legte), ging plötzlich die Sirene. Gleichzeitig läutete die Kirchenglocke: Feuer. Die drei wetzten von einem Fenster zum anderen, bis sie vom Dorf her einen rötlichen Schein wahrnahmen. Sie rissen sich unter dem wilden Lärm der irritierten Hunde Hosen und Pullis an den Leib und strampelten mit den Gesundheitsrädern los, das Löwenheckerchen auf Mariannes Rad und Adelheid bei Sowtschick auf der Querstange. Schon lange war er nicht mehr Rad gefahren, aber nun tat er es feurig.
Aus allen Häusern kamen Leute gelaufen. Licht wurde gemacht. Der Name des Bauern, bei dem es brannte, wurde laut in die Gegend gerufen: «Bi Jan-sin», was auf hochdeutsch heißt: «Bei Jan», und was bedeutete, daß es «dat Fron-Hus» war, dessen letzte Stunde nun geschlagen hatte. Die Flammen fauchten bereits aus dem riesigen Dach des Fachwerkgebäudes, wild um sich greifend: Da oben lagerte Heu, und darin saß die Glut.
Bauer Jan und seine Frau Elise waren nicht zu Hause, sie waren nach Köln zur Silberhochzeit eines Schwagers gefahren. Nur die Oma und der schwachsinnige Knecht rannten auf dem Hof herum. Sie öffneten das Tor der Scheune, und Schweine kamen quiekend herausgerannt, was «Hallo» auslöste, «Bravo!» und Beifall-Klatschen. Nachbarn fingen die Tiere ein und brachten sie in ihren eigenen Stallungen unter.
Ziemlich zugleich mit Sowtschick und seinem Anhang traf die freiwillige Feuerwehr an der Brandstelle ein. Die Männer hebelten die Schlauchtrommeln vom Wagen, von fachmännischen Kommandos angetrieben. Die Pumpen sprangen an, «Wasser marsch!» wurde gerufen, und Wasser strahlte in die Glut.
Auch aus anderen Orten kamen Feuerwehren und halfen, aber die Flammen ließen sich nicht beirren, die Eternitplatten, mit denen das Dach gedeckt war, knallten, und wildbewegt schlugen die Flammen daraus hervor. Die Feuerwehrleute richteten ihre Schläuche mal hierhin und mal dorthin, bis ein höherer Beamter in einem roten Volkswagen erschien, mit silbernen Tressen an der Uniform. Er erklärte das «Fron-Hus» mit seiner geschnitzten Fachwerkfassade für verloren: Das danebenliegende Wohnhaus galt es zu retten, in dem sich übrigens schon Leute zu schaffen machten: Eine gute Gelegenheit, mal rumzuschnüffeln, was Elise in ihren Schränken hat.
In sonderbarem Kontrast zu dem sich überschlagenden Eifer der Feuerwehrleute, die über ausgelegte Schlauchleitungen stolperten, stand die müßiggängerische Neugier der Bevölkerung, die, auf Fahrräder gestützt, flackernd rot beleuchtet, sich die Feuersbrunst besah: der Fernfahrer Lohmeier, ein Mann namens «Klaussi», in Pantoffeln, Tante Hertha, die Zeitungsfrau, und der vierschrötige Schulmeister, der jedem sagte, daß er untröstlich sei, weil es sich bei dem «Fron-Hus» um unwiederbringliches Kulturgut handelt, das hier zugrunde geht.
«Soweit haben sie’s gebracht!» sagte er anklagend, ohne daß jemand zu sagen gewußt hätte, wen er damit meinte.
Das ganze Dorf versammelte sich nach und nach, auch die Mofa-Jünglinge erschienen, die Pferdemädchen und der Pastor mit seiner Frau, dem es vor der Gewalt der Elemente grausen mochte. Auch von «Klaussi» war zu erfahren, daß der Blitz eingeschlagen hat, und daß Jan nicht zu Hause ist. Ein zahnloser Mensch gab immer wieder bekannt, er hätte gleich «zu seine Frau» gesagt: «Mensch, wenn dat man nicht inslah’n hätt.»
Die Oma und der malle Knecht liefen drei Schritte nach rechts, drei nach links. Der Knecht versuchte, der schweigenden, in Rot getauchten Menge zu erklären, daß er nichts dafür kann, daß das hier brennt, aber die Menge ließ ihn ungetröstet. Jan, ein wie guter Bauer er auch sein mochte, pflegte ihn von Zeit zu Zeit zu verprügeln, und das war es, was in den nächsten Tagen auf ihn zukommen würde.
Nun erschien auch der Bankleiter aus Kreuzthal mit seiner Gattin, die tatsächlich einen Hut auf dem Kopf hatte, und zwar mit einer Feder dran.
Das kommt davon, wenn man keinen Blitzableiter hat, sagte der Mann, und ob es mit der Feuerversicherung gut stehe, wisse er nicht so genau. In diesen Angelegenheiten dürfe man nicht den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, fügte er noch hinzu, und das war eine Redensart, zu der der Pfarrer sich nicht äußern mochte.
Im übrigen war er nicht der Ansicht, daß mit dem «Fron-Hus» die Seele des Dorfes verbrenne. Der «Kasten» wär sowieso nicht mehr zu retten gewesen. Was
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