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Hundsvieh - Kriminalroman

Hundsvieh - Kriminalroman

Titel: Hundsvieh - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Arzt gefahren.
    Oder ist vielleicht alles ganz anders? Warum ist Morandi eigentlich gerade jetzt am Malojapass aufgetaucht?
    Unten am Pass in Casaccia fragt Morandi lauernd: »Du kennst doch Linda Kauer, oder?«
    »Ja.«
    »Hat diese Donna dir auch erzählt, dass sie Journalistin ist?«
    Ich nicke. Linda. Hätte sie mich heute Morgen nicht aus der Alphütte geholt, kurz bevor sie in Flammen aufging, dann … »Was ist mit ihr?«
    Morandi steckt sich eine Zigarette an. »Heute Morgen habe ich mit der Signora Linda in St. Moritz gesprochen, sie glaubt nicht, dass du, ihr Amico Mettler, den Giacometti gestohlen hat.« Er kurbelt das Fenster hinunter. »Ich mache mir aber schon gewisse Gedanken.«
    »Was geht dich das eigentlich an?«, frage ich wütend. Wieso denken alle, dass ich etwas mit dem Kunstraub zu tun habe, nur weil ich zufälligerweise an dem Abend im Museum war? Fritschi glaubte es, Kubashi glaubt es immer noch und Morandi ist unschlüssig. Nur Keller glaubt an meine Unschuld, weil er den Giacometti selbst hat.
    Es irritiert mich auch, dass Linda mit Morandi Kontakt hat, dass sie beide über mich sprechen.
    Vielleicht war es ein Fehler, Linda nicht auf die Liste der Beteiligten zu nehmen. Ihre Behauptung, sie hätte selbst herausgefunden, dass ich in der Alphütte von Reto Müller war, kann ebenso gut gelogen sein. Vielleicht hat es ihr Reto auch erzählt. Langsam traue ich niemandem mehr. Auch die vielen Zufälle, die sich um mich herum abspielen, verunsichern mich immer mehr.
    Nach der Ebene von Casaccia kommt eine weitere Talstufe. In großen Kehren führt die Straße durch einen lichten Wald mit vielen Hütten, links an einer Kurve eine Seilbahnstation. Seilstränge verlieren sich zwischen den Felswänden. Weit oben drohend die Albigna-Staumauer, elektrischer Strom für Zürich.
    »Diese Seilbahnstation ist auch ein Giacometti«, erklärt Morandi, »Bruno, der jüngste Bruder von Alberto, ist Architekt. Er hat hier unten im Tal viel gebaut.«
    »Lebt er noch?«, frage ich.
    »Bruno lebt in Zürich, er ist in der Architektur-Szene immer noch sehr präsent, er muss inzwischen gegen 90 Jahre alt sein.«
    »Ein letzter Überlebender?«
    »Genau, die anderen sind alle tot.«
    In Borgonovo verlässt Morandi die Talstraße und fährt durch das enge Dorf. Große, stattliche Häuser säumen die Dorfstraße. Doch niemand ist zu sehen, das Dorf ist wie ausgestorben, keine Kinder spielen bei den Häusern. Erst auf dem Platz sehen wir einige alte Leute, die uns neugierig nachschauen. Hinter dem Dorf biegen wir nach links ab und halten beim Friedhof.
    »Was willst du hier?«
    »Komm, Mettler, ich möchte Dir etwas zeigen.« Morandi führt mich durch das Tor, langsam schreiten wir die Grabreihen ab.
    »Hier müssen einmal viele Menschen gelebt haben.«
    »Nicht alle haben hier gewohnt.« Morandi zeigt auf ein reich geschmücktes Familiengrab. »Diese Leute hier sind weggegangen, haben ihr Glück in der Fremde gefunden, sie waren Zuckerbäcker in Spanien, in England, in Russland. Als es ans Sterben ging, haben sie sich an ihre Heimat erinnert.«
    Auf der rechten Seite des Friedhofs liegen eng beieinander die Giacomettis, Vater Giovanni, Mutter Annetta, Alberto und seine Geschwister Ottilia und Diego. Auf den Grabstein von Alberto haben Leute Steine gelegt, auch Morandi bückt sich, hebt einen Kiesel auf und legt ihn auf den Stein aus grauem Bergeller Granit.
    »Geboren wurden sie alle hier in diesem abgelegenen Alpental, sie lebten hier, aber auch in Zürich und in Paris, sie hatten Kontakt zur internationalen Kunstwelt, zu Museumsdirektoren und Galeristen aus allen Kontinenten. Sie holten die Welt in dieses Tal!«
    Morandi bleibt stehen, senkt einen Moment den Blick. Ich schaue hinauf zu den schroffen Bergflanken, die das Tal mit Steinschlag und Lawinen bedrohen, sehe die steilen Wiesen, die kaum zu bewirtschaften sind, denke an die stattlichen Häuser aus einer Zeit, in der der Passverkehr ein lukratives Geschäft war, an die wenigen alten Leute auf dem Platz.
    »Gehen wir!«
    Schweigend verlassen wir die letzte Ruhestätte der Giacomettis, Morandi schließt den Alfa auf, fädelt schwungvoll in die Talstraße ein.
    »Warum hast du mir diesen Friedhof gezeigt?«, frage ich, als wir wieder unterwegs sind.
    »Ich wollte, dass du etwas begreifst. Die Giacomettis gehören hierher ins Bergell, ihre Kunst ist in dieser Gegend entstanden, schau dir nur diese Linien an.« Er zeigt auf die schroffen und steilen Bergflanken.

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