Hundsvieh - Kriminalroman
»Wenn du ein Portrait von Alberto siehst, erscheint darin diese zerklüfteten Felswände. Auch die Werke, die in Paris entstanden sind, erinnern irgendwie ans Bergell.«
»Der Hund auch?«
»Diese magere Kreatur passt doch genau in diese oft lebensfeindliche Landschaft.«
Worauf will Morandi hinaus? Auf eine Lektion in Kunstgeschichte kann ich gut verzichten. »Leider gibt es immer wieder Leute, die alles daran setzten, um gewisse Kunstwerke ganz für sich zu behalten. Und weil sie reichlich dafür bezahlen, gibt es auch immer wieder Individuen, die ihnen Kunstwerke besorgen, sei es auf legalem oder illegalem Weg.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Das große Verbrechen ist nicht der Diebstahl an und für sich«, fährt Morandi ungerührt fort. »Das größte Verbrechen ist es, wenn der Allgemeinheit wichtige Kulturgüter entzogen und vorenthalten werden. Es ist, als wenn man einem Volk die Geschichte stehlen würde. Ich möchte, dass du das begreifst, Mettler.«
Wir durchqueren das Dorf Stampa, Morandi zeigt mir das Haus, in dem die Giacomettis lebten, zeigt mir auch das Atelier. »Hier im Talmuseum konnte mit viel Aufwand ein ganz besonderer Ausstellungsraum gebaut werden. Unterirdisch, klimatisiert, spezielles Licht. Und darin sind einige wenige Werke der Giacomettis untergebracht, dazu ein großes Ölbild von Varlin, der ebenfalls hier gelebt hat. Es ist eine eindrückliche, kleine Sammlung, entstanden aus dem Willen der Bevölkerung, hier erschaffene Werke im Tal zu behalten und öffentlich zu präsentieren.«
Schweigend nicke ich. Morandi hat recht. Wer sich bereichern will, soll Geld oder Schmuck klauen, Schecks fälschen, irgendwas. Meinetwegen als Falschspieler die Leute betrügen. Doch Kunstgegenstände gehören nicht in Privatsammlungen oder in Tresore, sie müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Was bringt es einem Kunstfreund, wenn er den Hund ganz für sich alleine hat? In einer Illustrierten habe ich einmal eine Reportage über einen Sammler gelesen, der sich einige sehr wichtige Bilder der klassischen Moderne ersteigert hat, um sie im Feierabend ganz für sich zu genießen. Er prahlte nicht mit der Sammlung, brauchte sie ganz einfach als Ausgleich. Andere Leute, gab er zu bedenken, würden sich teure Sportwagen leisten, eine Villa auf einer Insel, würden ihr Geld im Casino verspielen, er würde lieber bei Auktionen mitsteigern. Schließlich könne er es sich leisten.
Irgendetwas bewegt sich weit hinten in meinem Hirn. Zwei Zahnräder, die bisher nicht nebeneinander lagen, greifen nun plötzlich ineinander. Da habe ich doch gerade etwas gedacht, das mit etwas anderem kombiniert werden muss! Eben fahren wir unter dem ewigen Kuss hindurch, einer von der Natur erschaffenen Skulptur. Zwei riesige Felsblöcke, die sich auf einer kleinen Fläche berühren, als würden sie sich küssen, halten sich gegenseitig im Gleichgewicht, durch den so entstandenen Durchgang rauscht der gesamte Transitverkehr vom Engadin nach Italien. Und angesichts dieses Kusses werde ich elektrifiziert, kann den Zusammenhang aber nicht fassen.
Promontogno. Eine enge Straße, dann links davon ein großer Platz. Schattige Platanen und einige Sitzbänke sind um ein Wasserbecken arrangiert, eine vage Erinnerung an einen Park. Morandi stellt seinen Alfa neben der Straße ab. Wir überqueren den Platz, dahinter thront das Hotel Bregaglia, ein alter Kasten mit viel Charme. Ein findiger Geschäftsmann hatte es vor über einhundert Jahren gebaut, damit sich die italienischen Feriengäste auf halbem Weg ins Engadin ausruhen und akklimatisieren konnten. Die goldenen Tage des Hotels gingen mit dem Ersten Weltkrieg abrupt zu Ende. Wie viele andere Tourismusobjekte im Kanton Graubünden erlebte das Bregaglia den Absturz ins Bodenlose. Gute Zeiten gab es kaum noch, man wurstelte sich eben durch, immer wieder drohte der Konkurs. So fehlte glücklicherweise das Geld, um das Hotel mit teuren Renovierungen zu verschandeln und die alte Substanz zu zerstören. Einer alten Tante gleich, die trotz der Jahre, die sie auf dem Buckel hat, Haltung bewahrt, trotzt das Bregaglia der Zeit.
Wir steigen aus, setzen uns in die Bar, bestellen Kaffee. Ich durchquere die Eingangshalle und verziehe mich aufs Klo. Zum zweiten Mal an diesem Tag starre ich in ein mitgenommenes, schmutziges Gesicht. So gut es geht, mache ich mich frisch. Dann versuche ich, die weiteren Schritte zu planen.
Als ich zu unserem Tisch zurückkehre, steht Morandi an
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