Hundsvieh - Kriminalroman
nicht, wie es weitergehen soll, ich habe einfach keine Kraft dazu. Jeder Abschied schmerzt. Verzeihung. Claudio!«
»Und das hat der da geschrieben? Wunderbar. Einen besseren Abschiedsbrief hat es bei einem Selbstmord noch nie gegeben.« Camenisch reibt sich die Hände. »Ich sehe schon die Schlagzeilen in der Zeitung: Massenmörder von Innerpers richtet sich selber!«
Meine Hände zittern und ich verschütte den Tee. »Aber das könnt ihr doch nicht machen, damit kommt ihr doch nie durch, das glaubt kein Mensch!«
Doch sie stehen bereits alle neben mir, richten die Pistolen auf meinen Kopf, Christine Peters, die Kurdirektorin, die Älplerin Gianna, Belasch, der Bauunternehmer und der aalglatte Politiker Camenisch. Schnell drehen die Gedanken in meinem Kopf. Ist es wohl Zufall, wer die scharfe Munition in seiner Waffe hat? Oder ist vielmehr alles geplant? Wem will Belasch die Schuld in die Schuhe schieben? Schließlich ist es nicht sicher, ob ich als Schuldiger wirklich tauge. Dennoch will der Bauunternehmer in einigen Tagen reingewaschen wieder auftauchen. Wer nützt ihm am wenigsten bei seinen Projekten?
Belasch will sicher nicht zum Mörder werden, Camenisch steht für die ganze Politikerkaste des Kantons und Christine baut am Tourismuskonzept. Da bleibt wohl nur eine übrig!
»Gianna«, schreie ich verzweifelt, »die legen dich rein, du hast die scharfe Munition, sie werden dich opfern!«
»Eins!«
Meine Atmung setzt aus.
»Zwei …«
Aber ich will noch …
»Drei!«
Ohrenbetäubend der Knall, ich stelle mir vor, wie ein Teil meines Schädels weggerissen wird und falle zu Boden. Etwas Schweres fällt auf mich, mein Kopf schmerzt, ich kriege keine Luft mehr, aber das ist doch normal, wenn man tot ist.
Meine Hände fassen nach dem Ding, das auf mir liegt, spüren Stoff, die Konturen eines menschlichen Körpers. Meine Lunge braucht Luft, dringend, endlich kann ich mich unter der massigen Gestalt hervorschieben.
»Will noch jemand etwas auf dem Grab der Kühe bauen?« Gianna zeigt mit ihrer Pistole auf den toten Belasch neben mir, dann wieder auf Christine und Camenisch. Katrin kommt singend von der Alphütte herüber, sie bringt den mir zugedachten Totenkranz mit und setzt ihn behutsam auf Belaschs schweren Schädel.
Wortlos nehme ich meinen vermeintlichen Abschiedsbrief, dazu die Besitzurkunde von Marta Caduff und gehe den Hang hinunter. Niemand hält mich auf. Der Schlüssel in Christines Japaner steckt. Schwer atmend fahre ich durch den Wald hinunter, überquere die Ebene und komme am Kurhaus vorbei. Zwei Badegäste winken mir zu, ich winke zurück. Meine Haut juckt nicht mehr, mein Ausschlag ist wie weggeblasen.
Leise, denn ich will Frau Caduff und Barbla nicht wecken, packe ich meine Sachen in der Pension Aurora zusammen, lege die Besitzurkunde vor die Schlafzimmertür meiner Zimmerwirtin und fahre weiter. Den Wagen lasse ich am Bahnhof in Klosters stehen und besteige den Regionalzug nach Schiers.
Nach einem ausgiebigen Frühstück in einem Restaurant mache ich mich auf den Weg hinauf zum Spital. Dschipi liegt dick einbandagiert zwischen einem abgestürzten Alpinisten aus Freiburg und einem jungen Motorradfahrer aus Zürich, der bei Regen ins Schleudern geraten ist.
»Wie geht es dir?«
Keller brummt etwas Unverständliches.
»Das ist der Verband«, erklärt der Motorradfahrer. »Am Anfang habe ich auch nichts verstanden.«
Vorsichtig schiebe ich die weiße Pracht zur Seite, sodass Dschipis Mund sichtbar wird.
»Ich bin froh, dass du da bist, Mettler, dass dir nichts passiert ist!«
»Mir passiert schon nichts!« Ich versuche zu grinsen, doch der Schreck von letzter Nacht sitzt mir noch in den Knochen. »Du wolltest mir noch etwas sagen.«
»Die Kühe aus Deutschland«, haucht er, »sie sollen alle im Val Pers verscharrt werden!«
»Sprecht ihr von der Maul- und Klauenseuche bei uns?«, mischt der Alpinist sich ins Gespräch ein. »Das ist eine ganz schlimme Sache. Und teuer!«
»Teuer?«
»Das Bundesland Baden-Württemberg muss alle Bauern mit EU-Geldern entschädigen, dazu kommen die Kosten für die Vernichtung der Kadaver, dies erledigt eine private Firma in Singen. Schnell, billig und effizient, habe ich gelesen.«
»Kennen Sie in diesem Zusammenhang einen Herrn Doktor Kugler?«
»Doktor Kurt Kugler? Dem soll diese Firma in Singen gehören. Außerdem arbeitet er als Berater für das Landwirtschaftsamt in Stuttgart. Ein ganz harter Knochen!« Der Alpinist nimmt eine Zeitung vom
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