Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Altlanders Tod in sein Arbeitszimmer getreten wäre, um ihm zum tausendsten Mal in versteckter Form ihre Liebe zu offenbaren, und er – vertieft in seine Arbeit – war unfreundlich, vielleicht verletzend? Vielleicht hatte sie es an diesem speziellen Morgen aus irgendeinem Grund nicht länger ertragen.
So weit war die Geschichte schlüssig. Aber wie hätte sie es dann geschafft, Altlander so viel Lachgas einatmen zu lassen, dass er daran starb? Gut, Altlander war süchtig nach dem Zeug. Aber er wusste es zu dosieren. Es hatte kein Kampf stattgefunden. Guerrini wich einer kleinen Sanddüne aus, die bis in die Mitte der Straße reichte wie eine Schneeverwehung.
Vielleicht hatten sie gestritten, Elsa war zornig und aufgelöst aus dem Zimmer gelaufen. Altlander hatte daraufhin in seiner Aufregung zu viel Lachgas eingeatmet und das Bewusstsein verloren. Das konnte leicht passieren, schon ein bisschen zu viel wirkte wie eine leichte Narkose. Das hatte ihm Dottor Salvia erklärt. Wie also weiter? Vielleicht so: Als Elsa zurückkehrte, fand sie Altlander hilflos, drückte die Atemmaske auf sein Gesicht und ließ ihn das Gas einatmen, bis er starb. Danach tippte sie den letzten Satz in seinen Laptop: Es geht nicht mehr! Dieser Satz passte im Fall eines Selbstmords, aber auch im Fall eines Mordes aus verzweifelter Liebe.
Unter der Maßgabe, sein Werk zu retten, nahm sie den Laptop mit. Die Atemmaske rieb sie ab, und das war’s. Dass gewisse Spuren der Malerin – wie Haare oder Fingerabdrücke – in Altlanders Arbeitszimmer zu finden waren, konnte niemanden überraschen. Sie war schließlich seine engste Vertraute.
Nicht schlecht, dachte Guerrini. Es klingt wirklich überzeugend. Nur werde ich es Elsa Michelangeli nicht nachweisen können, wenn sie es nicht selbst gesteht. Und dann stellte sich noch die Frage, ob ihre Liebe wirklich so schnell in tödlichen Hass umschlagen konnte. Er wusste es nicht. Aber er hielt es für möglich, wie er unter Menschen nahezu alles für möglich hielt.
Ihre Bilder gingen ihm nicht aus dem Kopf, die verwundeten Gemälde. Und der einäugige Kater namens Diavolo.
Erst kurz vor Siena legte sich der Sandsturm. Im Süden türmte sich, zum ersten Mal seit zwei Monaten, eine schwarze Wolkenwand auf.
Jetzt kommt die Sintflut, dachte Guerrini und fuhr schneller. Immerhin lag Siena auf einem Hügel. Dort waren die Menschen halbwegs sicher. Er dankte den Vorfahren für ihre Weisheit, und während er seinen Lancia diesen weisen Hügel hinauflenkte, dachte er, dass es nur höflich und fair wäre, wenn er die neue Kollegin an diesem Abend zum Essen einladen würde.
KURZ VOR DEM PRÄSIDIUM fiel Laura die verschlossene Sauerkrautdose ihrer Nachbarin wieder ein. Nachdem ihre Mini-Soko sich noch nicht gemeldet hatte, wendete sie den Wagen und kehrte nach Hause zurück. Als sie die Haustür aufsperrte, stand sie Ibrahim Özmer gegenüber. Er lächelte breit, verbeugte sich leicht und hielt ihr die Tür auf.
«Kinder nicht da, eh?»
«Nein. Sie haben Ferien.»
«Du Besuch?»
«Ja, Besuch. Ist schon wieder weg. Cousin aus Amerika.»
«Ah, Amerika.» Er nickte und grinste noch breiter.
«Wie geht’s der Familie, Herr Özmer?»
«Familie gut, alles gut, ja!»
«Das ist schön. Auf Wiedersehen!» Laura ließ ihn stehen und eilte die Treppe zum ersten Stock hinauf. Natürlich hatte er Ralf auf dem Balkon gesehen. Und sie selbst hatte nichts Besseres zu tun, als sich zu rechtfertigen und einen Cousin aus Amerika zu erfinden, um ihre Ehre zu retten. Noch einen vermeintlichen Liebhaber würden die Özmers nicht verkraften. Mit Angelo Guerrini hatten sie sich inzwischen abgefunden, obwohl auch seine Existenz Lauras Ehre zumindest ankratzte. Die soziale Kontrolle ihrer türkischen Nachbarn funktionierte ganz gut.
Es dauerte ein paar Minuten, ehe Terese Neuner auf Lauras Klingeln die Tür öffnete.
«Mei!», rief sie aus. «Jetzt hab ich gedacht, dass Sie mich vergessen haben, Frau Gottberg. Ich wollt des Wammerl schon kalt essen. Mit Brot. Is ja eh so warm.»
«Soll ich Ihnen die Dose trotzdem aufmachen, Frau Neuner?»
«Ja, wenn S’ schon da sind. Dann mach ich mir einen Krautsalat mit Wammerl. Mögen S’ auch einen?»
«Nein, danke. Ich muss sofort wieder weiter.»
«Jaja, ich weiß schon. Sie ham’s immer eilig! Wann kommt er denn wieder, der Luca?»
«In zwei Wochen.»
Laura mühte sich mit einem vorsintflutlichen Dosenöffner ab und schaffte es endlich, die Dose wenigstens so weit
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