Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Kämpfenden eine Leuchtrakete gezündet, die das Geschehen in unwirklich flackerndes Rot oder Grün tauchte. Laura lief auf die linke Seite der Brücke.
«Von der Seite kommen die Punker. Da kannst du das Fürchten kriegen, das sag ich dir!» Kommissar Baumann lehnte sich neben Laura an das Brückengeländer. «Die sehen aus wie Außerirdische und dazwischen unsere eigenen Aliens. Schau nur: Diese Monster mit Helmen und Schilden, das ist unsere Armee. Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass die Armee der ‹Schwabinger Stürmer› ziemlich in der Scheiße steckt!»
«Wo kommst du denn her?»
«Man hat mich benachrichtigt, mit dem Vermerk: dringend!»
«Dir geht’s offensichtlich besser.»
«Wenn ich das sehe, dann geht es mir sogar hervorragend! Aufstand der Münchner Stadtguerilla gegen Neonazis! Kann man doch nur begrüßen!»
«Sag das bloß nicht zu laut! Könnte dir Schwierigkeiten machen!»
«Ich sag’s ja nur dir, weil ich annehme, dass dir diese Veranstaltung auch ganz gut gefällt.»
«Wenn wir gewinnen, dann gefällt sie mir halbwegs gut!»
«Warum denn nur halbwegs? Endlich ist wirklich was los in dieser Stadt, und dir genügt es schon wieder nicht.»
«Führe mich nicht in Versuchung! Geh lieber runter und fang ein paar von den Kerlen!»
Peter Baumann lachte auf. «Das überlasse ich den Kollegen mit den Helmen und Schilden. Falls sich einer auf die Brücke verirrt, dann kann ich ihm ja ein Bein stellen.»
In diesem Augenblick wurden die Scheinwerfer eingeschaltet und tauchten Flussbett und Kiesbänke in grelles weißes Licht. Für eine Zehntelsekunde schienen die Kämpfenden zu erstarren, dann machten sie weiter wie zuvor. Wilde Szenen spielten sich da unten ab. Verfolgungsjagden endeten im Fluss oder im Schilf. Männer wälzten sich am Boden, im Wasser, stürzten sich aufeinander. Es war nicht einfach zu unterscheiden, wer zu wem gehörte, und Laura gewann den Eindruck, dass alle gegen alle kämpften und die ganze Angelegenheit in eine Massenschlägerei mündete. Auch ihre Alien-Kollegen mit den Helmen, Schilden und Knüppeln teilten kräftig nach allen Seiten aus und schienen den Überblick verloren zu haben.
Inzwischen war der Einsatzleiter wieder auf der Corneliusbrücke angekommen und rief über Megaphon zum sofortigen Ende der Prügeleien auf, was bei Peter Baumann ein breites Grinsen hervorrief und bei den Angesprochenen brüllendes Gelächter. Als eine zweite und dritte Hundertschaft eintraf und sich jetzt deutlich mehr Polizisten als Kämpfer im Flussbett bewegten, brachen einige junge Männer aus, rissen andere mit, stürmten unter der Ludwigsbrücke isarabwärts, wateten durch den Fluss und rannten Richtung Innenstadt. Auf unerklärliche Weise schienen sie sich schnell zu vermehren, als tauchten immer neue aus den Kanaldeckeln auf oder hätten in dunklen Hauseingängen oder Passagen auf die Ereignisse dieser Nacht gewartet.
Atemlos beobachtete Laura, wie sich die johlende Menge an der Isarparallele entlangwälzte, in die Corneliusstraße einbog, Steine gegen Schaufenster warf, parkende Autos umkippte und in Brand steckte.
«Scheiße!», sagte Peter Baumann dicht neben ihrem Ohr. «Das ist eine klassische Handy-Randale. Die machen einen Rundruf per SMS: Action an der Isar, alle kommen! Die kommen tatsächlich! Ich hab es bisher nicht geglaubt, wenn mir Kollegen davon erzählt haben!»
«Also nichts mehr mit ‹München gegen Neonazis›», entgegnete Laura und wandte sich zu den Einsatzwagen, die sich allmählich mit vorläufig Festgenommenen füllten. Rettungssanitäter verbanden blutende Platzwunden und legten Verletzte, die mehr abbekommen hatten, auf Bahren. Es herrschte tatsächlich Bürgerkriegsstimmung.
Laura nahm ihr Handy aus der Westentasche und wollte gerade Florian Bader anrufen, als ihr ein junger Mann auffiel, der sich höchst geschickt von einer Gruppe Festgenommener entfernte, während ein anderer einen Polizisten anpöbelte und dabei eine Riesenshow abzog. In Lauras Augen gab es einen direkten Zusammenhang zwischen den beiden Aktionen.
Der junge Mann nutzte die Situation, bewegte sich langsam rückwärts um den Einsatzwagen herum, drehte sich erst um, als er außer Sicht von Lauras Kollegen war, und ging dann wie selbstverständlich weiter, nicht auf die Randale in der Corneliusstraße zu, sondern auf die rechte Seite des Flusses, wo inzwischen nahezu Ruhe eingekehrt war. Etwas in seiner Körperhaltung kam Laura bekannt vor. Sie sah sich nach Peter Baumann
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