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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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die Polizei rufen? Bitte sehr.«
    Seine Augen blieben auf die Diamanten geheftet, und nach einer Weile sagte er: »Ich gebe Ihnen für beide zusammen 12 000 Franken.«
    Er legte den Brillanten behutsam auf das Taschentuch zum andern und hob jetzt den Blick. Er hatte graue, ausdruckslose Augen. »Darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie Türke sind?«, fragte er. »Und wenn Sie tatsächlich Türke sind, woran ich im Übrigen keineswegs zweifle, möchte ich Sie fragen, wie Sie zu diesen beiden Brillanten kommen.« Er lächelte beinahe, und seine Augen wirkten auf einmal einladend.
    »Was dieser Mann für eine Nationalität hat, geht Sie überhaupt nichts an«, sagte Erika fest, »was stellen Sie sich eigentlich vor, wer Sie sind? Vielleicht der Schah von Persien?«
    Sie nahm das Taschentuch mit den beiden Steinen von der Glasscheibe, steckte es ein, riss den Herrenschirm aus dem Ständer und zog Erdogan mit sich hinaus.
    Draußen gingen sie in schnellem Schritt die Freie Straße hinauf, bogen oben links in eine Gasse ein und hielten erst an, als sie vor der roten Sandsteinfassade des Münsters standen.
    »Spann den Schirm auf«, sagte sie, »man wird ja ganz nass, und die Leute schauen uns an.«
    Erdogan spannte den Schirm auf und hielt ihn sorgfältig über ihren Kopf. Er wirkte hilflos, ängstlich, er schaute immer wieder in die Gasse zurück, aus der sie gekommen waren. »Es rennt uns niemand nach«, sagte Erika, »der weiß ja gar nicht, wie wir heißen. Wir tun einfach so, als wären wir Touristen. Schau«, sie zeigte auf die Reitergestalt, die über dem linken Eingang auf einem Pferd saß und mit einer Lanze einen kleinen Drachen erstach, »das ist der heilige Georg. Der hat den Drachen erlegt.«
    Sie betraten das Münster, gingen, immer noch eingehängt, durchs linke Seitenschiff und setzten sich an seinem Ende auf eine Bank. Vor ihnen hing das steinerne Figurenrelief, das in vier Stationen zeigte, wie der heilige Vinzenz gefoltert und gebraten wurde und wie er nach seinem Tode auferstand. Das gefiel Erika ausnehmend gut, es war wie in einem Märchenbuch, und fast hätte sie den Juwelier vergessen.
    »Wenn der für einen Diamanten 6000 Franken bezahlt«, sagte Erdogan nebenan, »so sind das für alle zusammen über 200 000 Franken. Damit kann ich bei Selçuk am Meer draußen ein kleines Hotel bauen lassen. Ich meine, mit diesen 200 000 Franken in der Hand erhalte ich von der Bank den Kredit für ein neues Hotel.«
    »Nein«, sagte Erika, »wir verkaufen nicht. Du hast ja gesehen, der hat schon Verdacht geschöpft. Und wenn er es der Polizei meldet, verhaften sie dich, weil du eine Fundsache nicht abgegeben hast. Wenn man etwas findet, muss man es abgeben. Das ist Vorschrift.«
    »Ich verkaufe sie in einem anderen Laden«, sagte Erdogan, »wo sie keinen Verdacht haben. Dann kaufe ich ein Auto. Ich habe den Führerschein.«
    »Das ist nicht gut. Du musst genau so weiterleben wie bisher. Sonst fällt es auf, und die Leute fragen sich: Woher hat der plötzlich das Geld für ein Auto?«
    Erdogan dachte eine Weile nach. Dann sagte er: »Nein. Ich bin reich. Und ich will den Reichtum genießen. Ein Auto hat heute jeder, das fällt nicht auf.«
    »Die Diamanten werden nicht verkauft«, entschied Erika. »Wenn du willst, nehme ich einen Kleinkredit auf. Damit kannst du ein Auto kaufen, und wir sagen den Leuten, dass ich einen Kleinkredit aufgenommen habe.«
    »Meinetwegen«, sagte Erdogan, »machen wir es so.«
    Drei Stunden später saß Erdogan am Steuer eines alten weißen Amerikanerwagens mit rotem Faltdach, das vom Führersitz aus per Knopfdruck geöffnet werden konnte. Auch das Interieur war rot, die teilweise eingerissenen Ledersitze, das Armaturenbrett und das Steuerrad. Ziemlich ausgefallen und übertrieben war Erika dieses Gefährt vorgekommen, als sie es auf dem Okkasionenmarkt begutachtet hatten. Aber Erdogan war sofort entschlossen gewesen, diesen alten Kahn zu kaufen. Sie hatte mit dem Kleinkredit bezahlt, den sie kurz vorher in der Innenstadt aufgenommen hatte, sie hatten den Papierkram geregelt, dann waren sie losgefahren.
    Erdogan hatte den Wagen in den Mittagsverkehr gesteuert, er hatte sich schnell an die Schaltung gewöhnt. Offenbar hatte er schon oft am Steuer eines Autos gesessen. Erika fragte sich, wann das wohl gewesen war, ob noch in der Türkei oder schon in der Schweiz, aber sie fragte nicht. Das war eine ihrer Spielregeln, an die sie sich beide hielten: keine Fragen über das Vorleben.
    Der

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