Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
tun als abwarten und Tee trinken.«
»Oder Bier«, giftete Schneeberger, »es braucht ja nicht bei einer einzigen Stange zu bleiben.«
»Ich bestimme hier«, sagte Hunkeler ruhig, »und ich bestimme auch in der Beiz, was und wie viel ich trinke. Sonst noch was?«
»Ja«, sagte Madörin, »soll man den Zeugin auch überwachen?«
»Nein«, sagte Hunkeler. Und nach einer Weile: »Ich kümmere mich um ihn.«
Gegen elf Uhr desselben Tages gingen Erika und Erdogan durch die Freie Straße. Sie hatte ihm eingehängt, obschon er das nicht haben wollte. Nur Huren hängen sich ein, hatte er zu ihr gesagt, als sie es das erste Mal versucht hatte. Aber sie hatte nicht nachgegeben. Sie wollte einen Mann haben, dem sie auf der Straße einhängen konnte. Basta.
Es war ein gewöhnlicher Werktag, ein Dienstagmorgen wie jeder andere Dienstagmorgen, nur dass es die ganze Nacht geschneit hatte. Der Schnee auf der Fahrbahn und den beiden Trottoirs war schon mehrmals weggeräumt worden, aber da er in solchen Unmengen fiel, war er immer wieder aufs Neue liegen geblieben, und im Straßengraben stand er meterhoch. Die Leute, die unterwegs waren, um Einkäufe und Besorgungen zu machen, hatten die Kragen hochgestellt. Einige waren sichtlich verstimmt über das kalte Hudelwetter und schritten geradeaus, ohne darauf zu achten, ob ihnen jemand entgegenkam.
Erika war das egal. Sie hatte es überhaupt nicht eilig. Auch das Schneien gefiel ihr, es erinnerte sie an ihre Jugend an der Rigi.
Sie hatte das, was sie sich schon lange gewünscht hatte: einen freien Werktag, den sie zusammen mit Erdogan in der Stadt verbringen konnte. Denn er arbeitete fünf Tage in der Woche, und am Samstag, wenn er freihatte, saß sie an der Kasse.
Sie gingen langsam und versuchten, im gleichen Schritt zu bleiben. Erdogan hatte den großen schwarzen Schirm aufgespannt. Sie sprachen kein Wort. Dafür war die Stimmung zu feierlich. Ihr Ziel war das Juweliergeschäft Bernett.
Als sie vor der Auslage mit den goldenen Ringen und den unglaublich teuren, funkelnden Steinen standen, wurden sie beide einen Moment lang nervös. Erika spürte, wie Erdogan an ihrem Arm zog, sie hätte fast nachgegeben. Aber sie blieb standhaft und sagte: »Nichts da. Jetzt sind wir hier und gehen hinein.«
Sie betraten den Laden, dann blieben sie stehen, immer noch eingehängt, bis Erdogan den Schirm zumachte und in den Ständer neben der Tür stellte.
Eine junge Frau kam aus einem der hinteren Räume. »Ja, bitte«, sagte sie, »kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Gern«, sagte Erika entschlossen, »wir haben nämlich zwei Diamanten und möchten wissen, was die wert sind.«
Sie trat zum Verkaufstisch, der von einer Glasscheibe bedeckt war, worunter allerhand Schmuck zum Verkauf lag, aber sie achtete nicht darauf. Sie öffnete ihre Handtasche, nahm ein mit roten Rosen besticktes Taschentuch heraus, entfaltete es und legte es auf die Scheibe. Zwei Brillanten lagen darauf, funkelnd, mit einem bläulichen Feuer.
Die junge Frau nahm einen der beiden Steine, klemmte sich etwas wie eine Lupe vors linke Auge und prüfte ihn wortlos und genau. »Woher haben Sie den?«, fragte sie nach einer Weile, den Blick immer noch auf den Stein geheftet.
»Das ist ein Erbstück«, sagte Erika, »beziehungsweise das sind zwei Erbstücke. Geerbt, von der Großmutter.«
»Tatsächlich?«
Erika erschrak. Sie schluckte einmal leer und sagte dann: »Wir haben es uns anders überlegt. Geben Sie ihn mir bitte wieder zurück.« Sie streckte die Hand aus, bittend.
»Nur einen Moment«, sagte die Frau, »setzen Sie sich doch einen Augenblick.« Sie verschwand nach hinten.
Erika schaute sich um. Rechts standen zwei Stühle. Sie nahm Erdogan am Arm, und gemeinsam setzten sie sich. Wortlos warteten sie, bis die junge Frau wieder zum Vorschein kam. In ihrer Begleitung war ein älterer Herr mit weißen, buschigen Augenbrauen. Er hielt den Brillanten zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand, kniff das linke Auge zu, schaute mit dem rechten auf den Stein und sagte: »Ich gebe Ihnen 5000 Franken für so einen Brillanten.«
Erika hatte sich wieder erhoben. »Es tut uns leid«, sagte sie, »wir verkaufen doch nicht. Bitte geben Sie ihn wieder her.«
»Sie sagen, das sei ein Erbstück«, insistierte der Juwelier, »von der Großmutter. Ist es so?«
»Das geht Sie nichts an«, sagte Erdogan, »geben Sie jetzt den Diamanten wieder her. Sonst rufe ich die Polizei.«
»Ach so«, meinte der Juwelier, »Sie wollen also
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