Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
schien es, denn die Dame zögerte. Dann schritt sie hinaus, und sofort spannte sich wieder der behütende Schirm über sie. Sie stöckelte mit begütigendem Lächeln auf das Taxi zu, wartete, bis die hintere Tür aufgerissen wurde, und schob ihr Gesäß mit niedergeschlagenem Blick auf den hinteren Sitz. Sie zog die Beine mit den Netzstrümpfen nach, bündelte sie schön zurecht, so dass ein Knie neben das andere zu liegen kam, und hob dann unvermittelt und völlig überraschend den Blick zum Concierge, der darob fast umkippte. Er riss die linke Hand an die Mütze, packte die Autotür und schmetterte sie zu.
Der Wagen fuhr weg durch die Schneeflocken. Noch waren die hinteren Lichter zu sehen, dann verglühten auch sie.
Der Concierge klappte den Schirm zu. Er hatte soeben einen jener Augenblicke erlebt, derentwegen es sich in existentiellem Sinne lohnte, diesen an sich nicht hochdotierten Posten ein Leben lang zu bekleiden. Hinter diesem Auftritt der jungen Dame steckte eine Geschichte, das war ihm sofort klar geworden. Da steckte etwas Amouröses dahinter, da wartete jemand sehnsüchtig auf einen gelben Briefumschlag, der ihn aus den tiefsten Abgründen der Einsamkeit erretten und in den Himmel der Glückseligkeit emporheben musste.
Wild entschlossen setzte er von neuem die Drehtür in Bewegung, ging hinein, schritt durch die Halle an der Zimmerlinde vorbei, hinter der ein unauffälliger Hagestolz saß, und betrat den Lift. Er fuhr in den ersten Stock hoch, schritt durch den weich ausgelegten Gang und blieb vor Zimmer 125 stehen. Er klopfte drei Mal. Dann sprach er leise und diskret, fast flüsterte er: »Monsieur Kayat, il y a une lettre pour vous.«
Kayat schloss die Tür. Dieser schmierige Concierge. Diese hinterfotzigen Schweizer. Alle waren sie Komplizen, wenn sie irgendeine Liebschaft vermuteten oder irgendein lukratives krummes Geschäft. Alle waren sie Speichellecker, alle krochen sie vor tatsächlichem oder auch nur vorgespieltem Reichtum auf dem Bauch.
Er setzte sich in den Fauteuil neben der Stehlampe, schob einige Pommes Chips in den Mund, genoss ihr Salz, ihren öligen Geschmack, und riss dann den Briefumschlag auf. Drin befand sich ein syrischer Pass, ausgestellt auf den Namen Assad Harif; ein Autoschlüssel und die Bestätigung der Autovermietung Stalder, dass ab sofort und auf unbegrenzte Zeit ein Wagen mit Vierradantrieb und Autotelefon für ebendiesen Assad Harif bereitstand, jederzeit abholbar, Rechnung wird bezahlt; im Weiteren ein Zettel mit Adresse und Telefonnummer des Basler Gewässerschutzamtes und der Garderobe der Kanalarbeiter, eine Beschreibung des Kanalisationssystems des Badischen Bahnhofs und ein Stadtplan, auf welchem das Hotel Rochat eingezeichnet war. Kein Absender, nichts. Keine Aufforderung, kein Befehl. Aber Kayat wusste Bescheid.
Er ging ins Badezimmer, ließ Wasser einlaufen und trat dann ans Fenster. Der Schneefall hatte noch nicht aufgehört, der Rhein dampfte. Eine trübe Suppe war das da draußen. Und der Fischermann auf dem Treidelweg unten, der Sportsmann mit dem gelben Anorak und der Pfeife im Mund, der schon am Morgen seine Rute in den Fluss hinausgestreckt hatte, stand wieder dort, freudlos, sinnlos eingeschneit. Er oder ein anderer dieser Petrijünger würde den ganzen Abend, die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag da unten stehen. Sie waren wieder einmal auf Fischfang, die Kollegen der Recht-und-Ordnungs- AG .
Kayat zog sich aus und stellte sich vor den Spiegel. Er fand sich schön, durchaus, er war so, wie er sein wollte, und er war absolut fit. Wenn jemand diese Steine aus der Kanalisation oder aus der Kläranlage oder aus der Hölle zurückholen konnte, dann er.
Er ging ins Bad und wusch sich sorgfältig die Zehen.
Später schritt er durch die Hotelhalle, im eleganten Kamelhaarmantel, nichts in der Hand, keine Tasche, keinen Koffer, ein gutaussehender jüngerer Geschäftsmann, der sich in der kleinen Stadt Basel einen netten Abend machen will. Der Hagestolz hinter der Zimmerlinde bemerkte ihn sofort. Er legte die Zeitung weg, erhob sich, ging durch die Drehtür und sah Kayat in ein Taxi steigen und wegfahren. Er winkte ein Privatauto heran, das gegenüber gewartet hatte, stieg ein und folgte dem Taxi zur Johanniterbrücke. Dort sah er, wie Kayat ausstieg und die Trattoria Donati betrat. Dann kehrte er um. So hoch waren seine Spesenansätze nicht, dass er im Donati hätte dinieren können. Zudem schien ihm die Lage eindeutig zu sein.
Kayat setzte
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