Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
aufpassen konnte? Er schaute zum Steuerhaus hoch, in dem der Kapitän stand und wütend etwas herunterschrie, was nicht zu verstehen war. Dann ließ er sich treiben, ein Stück Holz, das obenauf schwamm, schaukelnd in den Wellen.
Als er die Treppe zum Badehaus hochstieg, merkte er, dass ihm noch immer der Schreck in den Gliedern saß. Warum hatte er den Tanker nicht kommen sehen? Er war es doch gewohnt, im Rhein zu schwimmen, er wusste, dass die Lastschiffe nicht ausweichen konnten. Er hatte noch immer den aufragenden Bug vor Augen, der den Fluss aufriss und eine meterhohe Welle vor sich herschob, die beiden schwarzen Anker an den Seiten, die überraschende Geschwindigkeit, mit der der Koloss näher gekommen war.
Aber er war entkommen. Und obschon es ihm nicht leichtfiel, versuchte er zu grinsen.
Er duschte sich sorgfältig, denn die Wasserqualität war bestimmt auch heute wieder schlecht. Er stellte die Dusche ab, schüttelte sich die Tropfen vom Leibe und schaute ins Wasser, das unterhalb der Treppe fast ruhig dalag. Dort standen sie, die fingerlangen Fische, deren Bäuche aufblitzten. Sie ließen sich nie lange vertreiben, wenn ein Schwimmer an Land stieg, das war ihr Stammplatz.
Oben bei den Tischen saß Detektiv-Wachtmeister Madörin im vorgeschriebenen Sommertenue – Hemd mit Krawatte, ohne Rock – und schaute herunter. Keine Miene verzog er. Er winkte nicht, er wartete, bis Hunkeler herankam.
»So«, sagte er, »genießt man das Strandleben? Hält man sich fit?«
»Du wirst gestatten«, sagte Hunkeler, »dass ich mir erst noch einen Kaffee hole.«
Er ging nach vorn zum Kiosk, presste sich Kaffee heraus, goss Milch dazu, fingerhoch. Seine Hand zitterte leicht. Vom Schock, redete er sich ein, von der plötzlichen Todesangst.
Frau Lang, mit hochrotem Kopf, schwitzend, versuchte zu lächeln. »Ich habe ihm erzählt, dass Sie üblicherweise am Morgen kommen«, sagte sie, »aber er wollte unbedingt auf Sie warten.«
»Keine Angst«, sagte Hunkeler, »er ist mein bester Kollege. Er sitzt auch einmal gerne am kühlen Bach.«
Er nahm die Tasse, trug sie hinüber zum Tisch und setzte sich.
»Ja, mein Lieber«, sagte Madörin, »es gibt Komplikationen.«
»So? Und was geht mich das an? Ich habe Urlaub.«
»Das Schloss in der Lorbeerstraße, wo Freddy Lerch gewohnt hat, ist aufgeschraubt worden.« Madörin nahm einen Schluck aus seiner Tasse, rümpfte die Nase. »Der Kaffee ist schlecht.«
»Mir schmeckt er«, behauptete Hunkeler und blinzelte in die Sonne.
»Es ist zwar kaum erkennbar. Aber Haller hat es bemerkt. Den kannst du nicht täuschen.«
»Ich?«, fragte Hunkeler, er merkte, wie das Zittern in seinem Nacken hochstieg.
»Den kann niemand täuschen, meine ich. Da ist jemand in der Wohnung gewesen.«
Hunkeler schaute zum Basler Dybli hinaus, das flussabwärts Richtung Kembser Schleuse trieb. Fröhliche Sommerleute waren darauf, die zum Badehaus herüberwinkten. Die junge Frau, dachte er, Denise Zaugg mit dem rötlichen Haar. Er versuchte, ruhig zu bleiben, er wartete.
»Freddy Lerch hat vor fünf Wochen 50 000 Franken abgehoben«, sagte Madörin. »Das ist viel Geld.«
Hunkeler hielt den Atem an. »Woher weißt du das?«
»Der Staatsanwalt hat sich eingeschaltet. Sie mussten das Konto offenlegen.«
»Warum? Ich denke, der Fall ist abgeschlossen.«
Madörin beugte sich vor, ein mieser, gefährlicher Jagdhund. »Bist du sicher«, fragte er, »dass es Selbstmord war?«
Ach so, das war’s. Hunkeler lehnte sich zurück gegen die Holzwand, atmete tief durch, griff mit ruhiger Hand zur Kaffeetasse.
»Ich habe einen Schrei gehört, dann sah ich einen Mann hinunterflattern. Das ging sehr schnell. Oben auf der Brücke habe ich niemanden gesehen.«
»Das sagt der dort auch, der mit der Leopardenhose.«
Madörin zeigte zu André, der gespannt herüberschaute.
»So ein alter Mann«, sagte Hunkeler, »wer will dem was Böses?«
»Warum ist denn eingebrochen worden in seine Wohnung?« Madörin hatte jetzt sein Inquisitorengesicht aufgesetzt. »Was hat der Täter gesucht?«
Hunkeler zuckte mit den Achseln, gelassen, die Unschuld vom Lande. »Woher soll ich das wissen, Kollege?«
Madörin schien ihn mit den Augen auffressen zu wollen, eine Sekunde, zwei Sekunden. Dann sagte er: »Pass auf, was du tust. Ich will dich ja nicht verdächtigen. Aber möglich wäre es ja immerhin. Du bist heute Morgen nicht im Badehaus gewesen. Warum nicht?«
»Jetzt hör aber auf, ja?«, sagte er. »Ich bin im Elsass
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