Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Bach wegholen, so täuschst du dich. Ich mache Pause.«
»Er hat vor rund einem Monat einen Wagen der Luxusklasse gekauft. Er wollte damit nach Kuwait fahren, um ihn dort für das Doppelte zu verhökern. Das hat ihm offenbar irgendwer so geflüstert. Und er hat es geglaubt. Naiv, aber wahr.«
Ein Schlingel, dachte Hunkeler, ein Vaurien, nicht der Rede wert.
»Er sitzt im Lohnhof in Untersuchungshaft. Ein sympathischer Kerl. Nur sagt er fast nichts. Wir haben natürlich geglaubt, er habe das Geld für den Schlitten gestohlen. Das heißt, wir haben ihm überhaupt nichts geglaubt, wir haben ihn ziemlich hart drangenommen.«
»Weiß er, dass sein Großonkel tot ist?«
Madörin nickte und schaute zur Johanniterbrücke hoch, wo zwei Burschen auf dem Geländer standen, sich vorwärts fallen ließen und schreiend absprangen. Angewinkelt segelten sie durch die Luft, prallten aufs Wasser, verschwanden.
»Sag einmal, dürfen die das?«
»Keine Ahnung«, sagte Hunkeler. »Du kannst sie ja verhaften, wenn du willst.«
Wieder dieses miese, hoffnungslose Grinsen.
Lieb, wie eine Katze, fragte Hunkeler: »Und warum sitzt er denn in Untersuchungshaft, wenn doch sein Großonkel 50 000 Franken abgehoben hat?«
»Die übliche Geschichte. Sie haben ihm den Schlitten geklaut, mit den Kleidern drin, den Papieren und allem Geld. In der Nähe von Istanbul war das, sagt er. Er ist offenbar eine Wasserratte wie du, hat sich irgendwo am Strand ausgezogen und ist ins Wasser gesprungen. Als er wieder auftauchte, war nichts mehr da.«
Das Meer, dachte Hunkeler, das Goldene Horn am Bosporus. Der Neumond am violetten Himmel, in der Ferne die Minarette. Und ein Windjammer gleitet vorbei.
»Warum grinst du so blöd?«, fragte Madörin.
»Ich grinse nicht, ich lächle.«
»Nein, du hast gegrinst. Ziemlich mies übrigens.«
»Und? Schließlich bin ich Polizist.«
»Eben. Also. Sie haben ihm dann einen neuen Pass gegeben und Geld und einen Koffer, den er einem Mann in Zürich-Kloten übergeben sollte. Ziemlich viel Heroin war da drin, es könnte reichen für mehrere Jahre Zuchthaus.«
»Aber das ist doch Stumpfsinn!« Er schrie das fast, es war nicht zu glauben.
»Genau das denke ich auch. Das Blöde ist, dass er ums Verrecken nicht sagen will, woher er das Geld für den Luxuswagen hatte. Auch jetzt nicht, wo wir das mit den 50 000 Franken wissen. Er ist richtig verstockt. Das einzig Sichere, was wir haben, ist der verdammte Koffer mit dem Heroin drin.«
Hunkeler kniff die Augen zusammen, die Sonne schien viel zu grell. »Seit wann weißt du das?«
»Seit vier Tagen.«
Madörin erhob sich, stellte sich ans Geländer und schaute zu den Enten hinunter. »Schön«, sagte er, »diese jungen Viecher.« Er drehte sich um und nahm die leere Kaffeetasse vom Tisch. »Übrigens, meinst du nicht auch, es wäre saudumm, wenn dieser junge Kerl für einige Jahre eingelocht würde?«
Da arbeitet man also ein Leben lang hart, dachte Hunkeler, und er hatte eine Wut, da fährt man zur See, stellt Mayonnaise her, bleibt ledig und spart. Man hat ein bisschen Vermögen, schenkt einem jungen Mann mit Ring im Ohr 50 000 Franken. Und was macht dieser Schlingel damit? Er kauft einen Luxuswagen, will damit nach Kuwait fahren und dort den Einsatz verdoppeln, aber er lässt sich unterwegs alles klauen. Und dann, was tut der Vaurien in der Not? Er lässt sich kriminalisieren, wird Kurier und läuft auf dem Flughafen Kloten auf die dämlichste Art der Welt in die Polizeifalle. Und natürlich hat er ein schlechtes Gewissen, hält dicht, will seinen Großonkel nicht hineinziehen und macht dadurch alles noch schlimmer. Und der Großonkel, was tut der? Der fühlt sich schuldig und springt von der Brücke.
Und er, der gestandene Kommissär, erprobt in kleinen und großen Schlachten, abgebrüht von der Hitze fremder Eigenschaften, dem nichts Menschliches mehr fremd war, solange es sein eigenes, privates Leben nicht betraf, was spielte denn er für eine Rolle in dieser Klamotte?
Er spielte die Rolle des allerletzten Dilettanten-Einbrechers, der nicht einmal auf halbwegs anständige Art ein altes Schloss knacken konnte, so dass niemand was merkte. Die Rolle des schäbigen Voyeurs, der in einem heruntergekommenen Etablissement der vormals vornehmen Art einen zähen, abgearbeiteten Alki ausnahm, bloß um ein Stück wahrer Lebensgeschichte, die ihn im Grunde nichts anging, beäugen zu können.
»Hier verdienst du gutes Geld, um gut zu leben. Und niemand kennt dich.« Das
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