Hunter 05 - Späte Vergeltung
der nicht ahnte, dass ihr etwas zugestoßen war. Mit neuer Entschlossenheit hielt sie weiter auf das Ufer zu, doch ihre Bewegungen wurden immer langsamer, ihre Arme und Beine taub vom kalten Wasser. Jetzt wünschte sie sich ihr Handy herbei, doch das lag zusammen mit ihrer Handtasche inzwischen auf dem Grund des East River und war sowieso nicht wasserdicht.
Was würde Zach tun, wenn er merkte, dass sie nicht an Bord war? Würde er sie suchen oder einfach annehmen, dass sie es sich anders überlegt hatte? Die Vorstellung, dass sie vielleicht bis Montag niemand vermissen und nach ihr suchen würde, trieb ihr neue Tränen in die Augen. Doch Chloe versuchte sich zusammenzureißen, denn sie musste ihre Kraft sparen, wenn sie sich retten wollte. Und sie wollte leben, vor allem wegen ihrer Familie und Zach, aber auch, um den Verbrecher zur Strecke zu bringen.
Chloe wusste nicht, wie lange sie schon geschwommen war, es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Doch als sie aufblickte, schien das Ufer noch keinen Meter näher gerückt zu sein. Wahrscheinlich weil sie mehr gegen die Strömung gekämpft hatte, als wirklich vorwärtszukommen. Sosehr sie es auch wollte, sie würde es nicht allein schaffen. Ja, sie würde kämpfen, bis sie nicht mehr konnte, aber wenn sie nicht zufällig entdeckt und gerettet wurde, würde sie hier ertrinken. Die Vorstellung, was das ihrer Familie antun würde, presste ihre Lunge zusammen und ließ sie nach Luft ringen.
Es tut mir so leid …
Unruhig wartete Zach darauf, dass die Fähre endlich anlegte. Er war vor fünf Minuten am Pier angekommen, und seitdem starrte er auf das Boot, als könnte er es dazu bewegen, schneller zu fahren. Warum er so nervös war, konnte er gar nicht sagen. Vermutlich, weil er Chloe endlich in seine Arme schließen und sich bei ihr entschuldigen wollte. Es war ein Wunder, dass sie ihm überhaupt noch eine Chance gab, und die wollte er nutzen, bevor Chloe womöglich zur Besinnung kam und ihn doch noch aus ihrem Leben verbannte.
Immer wenn sie in seiner Nähe war, fühlte er sich deutlich lebendiger und jünger – selbst wenn sie sich stritten. Nach längerem Nachdenken hatte er erkannt, dass sie tatsächlich recht hatte: Er brauchte jemanden wie sie, der ihn zwang, am Leben teilzunehmen und nicht alles an sich vorbeirauschen zu lassen. Seit er sie wiedergetroffen hatte, fühlte er sich deutlich lebensfroher, grübelte nicht mehr ständig über die Vergangenheit oder den Verlust Autumns nach. Die Tage waren nicht mehr so deprimierend gleichförmig, sondern er freute sich tatsächlich, wenn die Möglichkeit bestand, dass er Chloe treffen könnte. Erst durch sie hatte er gemerkt, wie einsam er wirklich gewesen war. Und genau das würde er ihr gleich sagen, wenn sie endlich von dieser verdammten Fähre käme. Was hatte sie überhaupt in Brooklyn zu suchen? Als er sie verlassen hatte, wirkte sie nicht so, als würde ihr der Sinn nach einer Party stehen. Ein plötzlicher Gedanke ließ ihm die Haare im Nacken zu Berge stehen: Hatte sie irgendwie herausgefunden, wo Candice Meadows gestrippt hatte und war allein dorthin gefahren? Er würde es ihr zutrauen.
Mühsam versuchte Zach den aufsteigenden Ärger zu bekämpfen, der sich aus seiner Angst um sie nährte. Wenn er sie gleich mit Vorwürfen überschüttete, würde er sie endgültig verlieren, so viel stand fest. Nein, er musste erst dafür sorgen, dass sie ihn wieder in ihr Leben ließ, und dann würde er ganz vorsichtig anmerken, wie gefährlich es sein konnte, wenn sie solche Alleingänge unternahm. Sie war Anwältin, keine Polizistin – und selbst in letzterem Fall würde er sie nicht allein irgendwohin gehen lassen, sofern er es verhindern konnte. Allerdings behielt er das wohl besser für sich.
Endlich legte die Fähre an, und mit ihr strömten die ersten Menschen auf den Pier. Ungeduldig wartete Zach darauf, Chloe zu erblicken, doch sosehr er auch suchte, er konnte sie nicht entdecken. Schließlich liefen die letzten Passagiere an ihm vorbei. Keine Chloe. Das schlechte Gefühl von eben meldete sich zurück und eine böse Vorahnung stieg in ihm auf. Eilig ging er zu dem Bootsmann, der gerade die neuen Passagiere an Bord lassen wollte. »Entschuldigen Sie, waren das alle Passagiere?«
Irritiert blickte der Mann ihn an. »Ja, hier ist Endstation.«
»Ich suche eine junge Frau, die in Brooklyn an Bord gegangen ist. Sie hätte hier aussteigen müssen, aber sie war nicht dabei.«
»Dann ist sie vielleicht schon vorher
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