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Hurra wir kapitulieren!

Hurra wir kapitulieren!

Titel: Hurra wir kapitulieren! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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richtet. Und da trat er ins nächste Fettnäpfchen. »Wir vermitteln nicht länger, dass man mit der Kolonialisierung auch versuchte, den Wilden Bildung und Zivilisation zu bringen.« Dass man die Krawallmacher heute »wie Rebellen oder Revolutionäre behandelt«, das habe ihn tief erschrocken. »Welche Verbindung gibt es zwischen Armut und Verzweiflung und der Zerstörung von Schulen, der Brandstiftung? ... Stellen Sie sich nur mal vor, diese Leute wären Weiße gewesen, wie in Rostock in Deutschland. Sofort hätte jeder gesagt: Faschismus wird nicht toleriert.< Aber wenn ein Araber eine Schule ansteckt, ist es eine Rebellion. Wenn ein Weißer das tut, ist es Faschismus. Ich bin >farbenblind<. Solche Taten sind schlechte Taten, egal welche Hautfarbe dahinter steht...«
    Finkielkraut benahm sich wie das Kind in Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Was er sagte, war nicht so wichtig wie die Tatsache, dass er einen allgemeinen Konsens verletzte. Es werde »keine Rückkehr zur Ruhe« geben, sondern »eine Rückkehr zu regelmäßiger Gewalt«. Am Ende resümierte er: »Ich habe verloren..., da gibt es etwas in Frankreich: ein Nichtwahr-habenwollen, dessen Ursprung bei den Soziologen und den Sozialarbeitern liegt - und niemand traut sich, etwas anderes zu sagen.«
    Als »Le Monde« Teile des Interviews nachdruckt, fällt halb Frankreich über Finkielkraut her, man will ihn wegen »Anstiftung zu Rassenhass« anklagen und aus der Öffentlichkeit verbannen. Er muss sich erklären, rechtfertigen, entschuldigen, nur ein paar Freunde verteidigen sein Recht auf Meinungsäußerung. Kaum einer geht so weit, sich mit seinen Ansichten zu solidarisieren. Frankreich, die Heimat von Voltaire, Zola und Sartre, das Land, das den Amerikanern die Freiheitsstatue geschenkt hat, knick ein. Niemand will sich mit dem brandschatzenden »Ge-sindel« anlegen, bei Finkielkraut dagegen muss man nur mit scharfen Worten rechnen, die Gefahr, dass er sich mit einem Molotow-Cocktail Respekt verschafft, ist minimal.
    Das von Finkielkraut konstatierte Nichtwahrhabenwol-len, das von Soziologen und Sozialarbeitern ausgeht, ist keine französische Spezialität. In Deutschland ist die Situation nicht anders. Der Soziologe Michal Bodemann, der sich lange mit dem Antisemitismus beschäftigt hat, bevor auch er die »Islamophobie« entdeckte, nennt die sich häufenden Berichte über »Ehrenmorde« und andere Verbrechen »Gruselgeschichten«, die »mit einer erstaunlichen Ignoranz und Hysterie ... kolportiert« werden, »antimoslemische Hetze«. Er spricht von »Anpassungsproblemen vor allem von Menschen aus traditionellen Milieus« und rät zur Geduld: »All die hier dramatisierten Probleme sind aus anderen Einwandererländern hinlänglich bekannt und verschwinden nach der ersten oder zweiten Generation.« Ungeachtet der Tatsache, dass es eben die dritte Generation ist, die hinter die erste und zweite zurückfällt.
    Werner Schiffauer, Professor für Kultur- und Sozialanthropologie, Migrationsforscher und Ge-richtsgutachter in so genannten Ehrenmordprozessen, sieht die Debatte »mit großem Unbehagen, denn mit dem Etikett >Ehrenmord< wird auch eine Lust am Schaudern bedient«.
    Die jungen Männer, die ihre Schwestern umbringen, sind »deklassierte Jungs«, die einen »Ethnizitätsdiskurs pflegen: Wir sind super, wir sind den Deutschen überlegen, wir sind Türken«. Er spricht von einem »Desintegrationsproblem« und empfiehlt »Männerforschung« zu betreiben, »denn es sind ja die Männer, die mit ihrer Situation nicht klarkommen, wenn sie gewalttätig werden«.
    Was Schiffauer damit sagen will, ist, dass der Staat (oder wer auch immer) mehr Geld für seine Projekte bereit stellen sollte, um die Situation der Männer zu erforsehen, die einen Ethnizitätsdiskurs pflegen, den man ihnen dringend erklären muss. Denn rund um das Themendoppel »Migration/Integration« ist eine »cottage industry« entstanden, die von Zuwendungen lebt. Ähnlich wie »Eventmanager« und »Konkursverwalter« ist auch »Migrationsforscher« ein Beruf mit Zukunft.
    Wie die Gegenwart dieser Branche aussieht, wurde am Rande des Karikaturenstreits klar, als 60 tatsächliche, angebliche, selbst ernannte und bis dato unbekannte »Migrationsforscher« in der »Zeit« einen offenen Brief an die deutsch-türkische Soziologin Neda Kelek schrieben, nachdem ihr Buch »Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes« erschienen war.

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