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Hurra wir kapitulieren!

Hurra wir kapitulieren!

Titel: Hurra wir kapitulieren! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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Milieu, über das sie schreibt, gut auskennt, wurde ihr nicht zugute gehalten, sondern zum Vorwurf gemacht. So wie man früher Schwarze als »weiße Neger« beschimpfte, nur weil sie anderer Meinung waren als die Weißen, die sich der Sache der Schwarzen annahmen. Darin kommt ein Rassismus zum Ausdruck, der das Verhalten der Gutmenschen auch heute bestimmt: Wehe, die Objekte ihrer Fürsorge wollen sich nicht helfen lassen und entwickeln eigene Ideen darüber, was für sie gut oder nicht so gut sein könnte. Dann ist Schluss mit der multikulturellen Solidarität.
    Kelek selbst reagierte auf die Attacken mit Argumenten und einer Ruhe, wie sie Therapeuten aufbringen, die mit Verhaltens gestörten Kindern zu tun haben. Sie erzählte, dass sie mit dreizehn Jahren »Vom Winde verweht« gelesen und sich mit Scarlett O‘Hara identifiziert hat. »In den meisten türkischen Familien gibt es so gut wie keine Bücher. Die Mädchen lernen kein eigenständiges Denken. Die Eltern sagen, wo es langgeht.« Es gebe unter den Muslimen »keinen Konsens darüber, wie der Islam in einer modernen Welt gelebt werden kann«. Und sie widersprach immer wieder der Unterstellung, die »Migranten« seien Opfer dieser Gesellschaft. »Das ist zu einfach. Auch sie selbst reproduzieren ihre Lage, indem sie zum Beispiel ihre Kinder arrangiert verheiraten und so aus dem Integrationsprozess dieser Gesellschaft herausreißen. Was gibt es Wichtigeres als das Recht auf selbstbestimmtes Leben und Freiheit?«
    Solche Selbstverständlichkeiten brachten die »Migrationsforscher« noch mehr in Rage, denn wenn die Gesellschaft nicht der Alleinschuldige ist, entfällt auch der Ansatz, dass sich vor allem die Gesellschaft ändern müsse, wenn die Lage der Migranten verbessert werden soll. »Fälle von Gewalt gegen Frauen, Zwangsverheiratungen, Polygamie, Ehrenmorde sind in unserer Gesellschaft unter Migranten nun mal Fakt und kein Vorurteil«, so beschrieb Kelek die Situation; es seien zudem »Praktiken, die alle mit dem deutschen Grundgesetz kollidieren«. Und sie fand es seltsam, »mit welchen Widersprüchen« ihre Gegner sich abgefunden hätten: »Da wird für die gleichgeschlechtliche Ehe gestritten und gekämpft, und dieselben Leute weigern sich, mit der gleichen Vehemenz für das gleichberechtigte Verhältnis zwischen Mann und Frau zu kämpfen - zumindest wenn es dabei um Muslime geht.«
    Es war das reine Vergnügen zu sehen, wie es eine einzige Frau mit einer ganzen Kompanie von »Migrationsforschern« aufnahm und sie mit einer einzigen Frage ins Aus beförderte: »Was haben alle diese Migrationsforscher all die Jahre mit ihren Mitteln und ihren Stellen getan, und was haben sie übersehen, dass so viele Probleme nicht erkannt wurden?«
    Wären die Migrationsforscher so ehrlich gewesen, wie sie vorlaut waren, hätten sie antworten müssen: Wir haben wissenschaftliches Appeasement getrieben, wir haben vor der Wirklichkeit kapituliert. Wir haben das Schicksal der Migranten romantisiert, wir haben aus ihnen edle Wilde gemacht und sie unter Naturschutz gestellt. Aber es hat uns Spaß gemacht, denn wir hatten die Mittel, Forschungsprojekte zu realisieren, Seminare abzuhalten und Konferenzen zu besuchen.
    Freilich, ein solches Geständnis wäre zu viel des Guten gewesen, und deswegen legte Kelek noch einmal nach, indem sie auf verwandte Phänomene in der Vergangenheit hinwies: »Diejenigen, die mir heute vorschwärmen, wie nestwarm und solidarisch es in der türkischen Community zugeht, sind dieselben, die in den Achtzigern den Dissidenten aus dem Osten erklärt haben, was für eine großartige Angelegenheit der Kommunismus sei ... Genauso ist es heute, da verteidigen Leute die türkisch-muslimische Lebensform, die in ihrem Leben noch keinen Schritt tiefer in diese Gesellschaft vorgedrungen sind als bis zum Tresen ihres netten Gemüsehändlers.«
    Der Schriftsteller Peter Schneider war einer der wenigen, die so ein Abenteuer wagten. Er sah und hörte sich im islamischen Milieu um und fand vieles, was den professionellen »Migrationsforschern« entgangen war. Mit Staunen stellte er fest, dass allein in Berlin etwa 4000 moslemische Grundschüler Unterricht von Lehrern erhalten, die von der Islamischen Föderation eingestellt und vom Land Berlin bezahlt werden, ohne dass der Schulsenator die Möglichkeit hätte, den Unterricht, der oft auf arabisch oder türkisch abgehalten wird, zu kontrollieren. Auch sei die Zahl der Mädchen, die mit Kopftüchern zur Schule

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