Hurra wir kapitulieren!
Idee lag freilich darin, dass Teheran sie nicht zur Kenntnis nahm.
Es ging, einmal mehr, darum, jede Provokation zu unterlassen. »Nichts könnte gefährlicher sein als der Eindruck in großen Teilen der islamischen Welt, der Westen betreibe eine antiislamische Politik«, warnte der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Und: »Schon die Drohung mit der atomaren Option erhöht die Gefahr einer Ausbreitung von Atomwaffen.«
Altkanzler Helmut Schmidt, einer der treibenden Köpfe hinter dem »Doppelbeschluss« von 1979 , mit dem die NATO auf den Einmarsch der Russen in Afghanistan reagierte und kräftig nachrüstete, um das atomare »Gleichgewicht des Schreckens« wieder herzustellen, war ebenfalls der Meinung, man sollte die Iraner lassen, sie wollten nur spielen. Die iranische Atompolitik bedeute »keine akute Bedrohung des Friedens«, gefährlich sei allenfalls Ahmadinedschad »mit seinem ungezügelten, unkontrollierten Temperament und seinen aggressiven Reden«. Die Lage am Brahmsee, wo Schmidt einen großen Teil seiner Zeit verbringt, war vollkommen friedlich, niemand verlangte, Schleswig-Holstein sollte von der Landkarte getilgt werden oder schlug eine Umsiedlung der Einwohner vom Nord-Ostsee-Kanal an den Suez-Kanal vor. Helmut Schmidt hatte keinen Grund zur Besorgnis und antwortete deswegen auf die Frage, wie »wir mit dem Iran umgehen« sollten, folgendermaßen: »Wir sollten gelassener sein, und insbesondere Washington sollte sich zurücknehmen.«
Was blieb, war die bange Frage, wie gelassen man reagieren sollte, falls Ahmadinedschad mit seinem »ungezügelten Temperament« zur WM anreisen sollte. Ein Staatsoberhaupt, hieß es, brauche kein Visum, es gebe keine Handhabe, ihm die Einreise zu verbieten. Seltsam an dieser formaljuristisch sicher korrekten Argumentation war nur, dass diesmal nicht einmal der Versuch unternommen wurde, das Problem mit einer europäischen Initiative zu lösen, wie das zur gleichen Zeit gegenüber dem Staatsoberhaupt von Weißrussland, Alexander Lukaschenko, passierte. Als Reaktion auf die Präsidentenwahlen vom 19 . März beschlossen die EU-Außenminister ein europaweites Einreiseverbot für Lukaschenko und 30 Spitzenfunktionäre des Landes, darunter der Justizminister und Mitglieder der Wahlkommission.
Dabei soll Lukaschenko nur die Wahlen ein wenig manipuliert haben, er hatte keinem Land mit Vernichtung gedroht. War das sein Fehler?
Ahmadinedschad war smarter. Statt selber zur WM zu kommen, schickte er einen seiner zehn Vertreter, den weitgehend machtlosen und unbekannten Mohammed Aliabadi. Und schon passierte es. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete, der Besuch sei »parteiübergreifend als Chance für eine Entspannung der belasteten Beziehungen begrüßt worden«. Parteiübergreifend bedeutete in diesem Fall: Sprecher von CDU, SPD und Grünen wollten die Chance nutzen, dem Iran den kleinen Finger als Appetizer zu reichen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), sagte: »Wenn sich informelle Kontakte am Rande der WM ergeben, sollte man sie nutzen ... Die Parallelität der sportlichen und politischen Präsenz ist eine Gelegenheit, nach Teheran Signale zu senden.« Der SPD-Fraktionsvize Walter Kolbow dachte schon über den Proviant nach, den er Aliabadi für die Heimreise mitgeben wollte: »Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, den Sport mit der Politik zu verbinden und (Aliabadi) das eine oder andere mit auf den Weg zu geben.« Und der neueste Außenexperte der Grünen, Jürgen Trittin, spürte Schmetterlinge im Bauch. »Der Besuch ist eines der Signale der Entspannung.« Und was waren die anderen? Hatte Aliabadi den Wunsch geäußert, das Berliner Holocaust-Mahnmal zu besuchen? Hatte er Angela Merkel auf einen Drink in die Paris Bar eingeladen? Hatte er ein Exemplar des Tagebuchs von Anne Frank in Farsi bei sich?
Dann klärten sich die Dinge so, wie es sich der Sicherheitsexperte der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, gewünscht hatte: auf die sportliche Art. Die Iraner flogen schon in der Vorrunde aus dem Turnier, und die Frage, ob man einen Holocaustleugner, Judenhasser und Völkermord-Ankündiger willkommen heißen muss, nur weil er der Repräsentant eines Landes ist, in dem die Mullahs das Sagen haben, konnte unentschieden zu den Akten gelegt werden. Die Vorsehung meinte es wieder einmal gut mit den Deutschen.
Nur der bayerische Ministerpräsident Stoiber und sein Innenminister Beckstein hatten sich eindeutig verhalten und den
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