Hurra wir kapitulieren!
einzurichten.
Zugleich geriet Innenminister Nicolas Sarkozy in den Fokus der Kritik. Er hatte die Brandstifter kurzerhand »Gesindel« genannt und angekündigt, ihnen mit »null Toleranz« zu begegnen. Worauf sich die Krawallmacher in ihrer Ehre gekränkt fühlten. »Le Monde« zitierte einen Jugendlichen aus einem der Vororte mit dem Satz: »Das ist der erst Anfang. Wir werden weitermachen, bis Sarkozy zurücktritt.« Warum der Jugendliche nicht gleich gefordert hatte, einen seiner Freunde zum Innenminister zu ernennen, blieb vorläufig sein Geheimnis.
In einer grotesken Umkehr von Ursache und Wirkung wurde Sarkozy für die Unruhen verantwortlich gemacht. Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft warf ihm vor, die Randalierer »aufzustacheln«, auf diese Weise könne kein Dialog zustande kommen. Oppositionspolitiker forderten den Rücktritt des Innenministers, er sei, erklärte ein grüner Abgeordneter, als »Brandstifter und Kriegschef« mitverantwortlich für das Geschehen. Wahrscheinlich war er auch dafür mitverantwortlich, dass eine 56 -jährige behinderte Frau, die sich aus einem brennenden Bus retten wollte, mit Benzin übergössen und schwer verletzt wurde.
Die Jugendlichen, so konnte man es überall lesen und hören, formulierten zwei »politische« Ziele: Sarkozy muss weg, und die Polizei soll verschwinden. Bei der Verbreitung ihrer Forderungen waren ihnen die vielen Journalisten behilflich, die ihr Quartier in Paris aufgeschlagen hatten, darunter auch die RTL-Reporterin Antonia Rados, die schon von der Front im Irak berichtet hatte. Sie begleitete eine Gruppe von Randalierern beim Autoabfackeln und stellte sie als »deklassierte Jugendliche« vor. Sarkozy dagegen war der Scharfmacher, der das Öl ins Feuer goss; was in den Banlieues rund um Paris passierte, war das Ergebnis des »Versagens seiner Politik und seiner aggressiven Sprache«, analysierte die »taz« die Situation und vergaß nicht zu erwähnen, Sarkozy sei »ein bekennender Wirtschaftsliberaler und Bewunderer der angelsächsischen Politik«. Nur Kinderschänder, Kannibale und Koksdealer wäre noch schlimmer gewesen.
An einem einzigen Krawallwochenende gingen nach Polizeiangaben 2400 Objekte in Flammen auf - Autos und Gebäude, von der Bushaltestelle über den Kindergarten bis zum Krämerladen. Und je länger die Zerstörungswut tobte, umso feinsinniger und verständnisvoller wurden die Betrachtungen zu den Ursachen der Gewalt. Nur die Bewohner der Vororte, deren Infrastruktur zerstört wurde, organisierten Bürgerwehren, um die Welle der Gewalt zu stoppen, während die Intellektuellen über den rasenden Mob räsonierten wie Hobby-Pyromanen über die Schönheit des Feuers. »Ein bisschen wie Bagdad«, titelte die »Frankfurter Allgemeine«, »Jede Nacht Bagdad«, die »Süddeutsche«. Die »taz« brachte das Geschehen auf die dialektische Formel: »Es sieht aus, als ließe sich weniger das Scheitern von >Multikultur< oder >Integration< als vielmehr deren vorübergehendes Gelingen studieren.«
Nur wenige trauten sich, die romantischen Scheuklappen abzulegen und Klartext zu reden. Alain Finkielkraut gab der israelischen Zeitung »Ha‘aretz« ein Interview, in dem er alle heiligen Kühe, an die ein guter europäischer Multikulturalist glauben muss, schlachtete. »In Frankreich verbucht man diese Unruhen unter ihrem sozialen Aspekt und begreift sie als ein Aufbegehren der Jugendlichen aus den Vorstädten gegen ihre Lage, gegen die Diskriminierung, gegen die Arbeitslosigkeit. Das Problem aber ist, dass die meisten dieser Jugendlichen moslemische Schwarze und Araber sind. Sehen Sie, in Frankreich gibt es auch andere Einwanderer, deren Lage schwierig ist - Chinesen, Vietnamesen, Portugiesen -, aber die nehmen an den Ausschreitungen nicht teil. Deshalb besitzt diese Revolte einen klaren ethnisch-religiösen Charakter.«
Statt vom »Migrationshintergrund« zu reden, wies Fin-kielkraut auf den Unterschied zwischen Migranten und Migranten hin. Er warnte davor, die Wahrheit zu opfern, »wie nobel die Motive auch sein mögen«. Er sagte, dass es »nicht um alle Schwarzen oder alle Araber« geht, sondern nur um einige und dass die Religion eine Rolle spielt, »nicht als Religion, sondern als Fundament der Identität«. Lauter Selbstverständlichkeiten, die sich jedem Beobachter aufdrängten, wenn er sie nur wahrnehmen wollte.
Finkielkraut sprach von einem »Pogrom gegen die Republik«, von einem »retrospektiven Hass«, der sich gegen die Kolonialzeit
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