Hurra wir kapitulieren!
kommen, »sprunghaft angestiegen« und es häuften sich Abmeldungen vom Schwimm- und Sportunterricht und von Klassenreisen. Vorsichtig, wie es seine Art ist, formulierte Schneider eine Erkenntnis, die er selbst vor fünf oder zehn Jahren als absurd verworfen hätte: »Es zeigt sich, dass die jahrzehntelang verschleppte Integrationspolitik in Deutschland nur eine Seite des Problems darstellt. Die andere Seite besteht in der aktiven Verweigerungshaltung eines Teils der moslemischen Gemeinschaft.«
Schneider las die Bücher von Neda Kelek, Serap Cileli und Seyran Ates und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen: »In den Büchern der drei moslemischen Dissidentinnen liest man nun, was Deutsche wie ich nicht wussten und nicht so genau wissen wollten. Was sie berichten, erscheint unglaublich. Sie erzählen von einem Alltag der Unterdrückung, Isolation, Gefangenschaft, Ausbeutung und brutaler körperlicher Züchtigung moslemischer Frauen und Mädchen in Deutschland, auf die nur ein Name passt: Sklaverei.« Solche Texte, dazu noch von einem »Altlinken«, der seine eigenen Versäumnisse reflektierte, konnte man an den Fingern einer Hand abzählen.
Renee Zucker kam zu ähnlichen Einsichten wie Peter Schneider. »Von muslimischen Strafgefangenen, die wegen >Ehr<-Delikten, also Mord, Verätzung oder Verstümmelung von Frauen, im Knast sitzen, ist zu hören, dass sie sich keiner Schuld bewusst sind. Sie hätten etwas getan, was ihre Kultur von ihnen fordert. Eine Kultur, in der sich Frauen nicht aussuchen dürfen, mit wem sie ihr Leben verbringen wollen, und bei Zuwiderhandlung getötet werden dürfen, ist nicht nur mit unserer nicht zu vereinbaren, sie verdient nicht den Namen Kultur, sondern ist Barbarei.«
Zafer Senocak, wie Neda Kelek in der Türkei geboren, ging noch einen Schritt weiter und sprach von der »muslimischen Libidodiktatur«, die vom »Gehorsam der Frau und der strengen Einhaltung der Regeln« lebt. »Der Islam sexualisiert nicht nur die Geschlechter, sondern auch den Raum, in dem sie sich bewegen. So entsteht eine strenge Geschlechtertrennung, das Gebot für Frauen, sich zu verhüllen, in letzter Konsequenz ihre Verbannung aus dem öffentlichen Leben.«
Aber der Mainstream der Kulturarbeiter, die alles verstehen und alles auf gesellschaftliche Ursachen zurückführen, erwies sich als immun gegen solche Analysen. Robert Misik, der schon als Marxist auf die Welt gekommen und es bis heute geblieben ist, brachte eine neue Allzweckwaffe aus dem Arsenal des dialektischen Materialismus in Stellung: den Begriff »Islamophobie«: »Wer den Islamismus bekämpfen will, darf sich darum auch nicht >weigern<, von der Islamophobie zu sprechen -schließlich treibt diese ja die Moderaten in die Hände der Radikalen.« Unklar blieb, warum es immer die Moderaten sind, die in die Hände der Radikalen »getrieben« werden - und nie umgekehrt.
Warum die Riege der Gutmenschen aus Politik, Medien und Wissenschaft nie um eine kommode Ausrede verlegen und allzeit bereit ist, beide Augen zuzudrücken, ist einfach zu erklären. Erstens macht es viel mehr Spaß, sich für die Befreiung Palästinas und der Gefangenen von Guantanamo einzusetzen, weil man dafür nichts anderes tun muss, als auf die Straße zu gehen und ein Poster in die Luft zu halten. Hinzu kommt, dass solche Aktionen garantiert folgenlos sind. Kein Demonstrant wäre gehalten, einen der Gefangenen von Guantanamo bei sich zu Hause aufzunehmen, mit ihm Tisch, Bad und Küche zu teilen, um ihm bei der Rückkehr ins normale Leben zu helfen. Würde er sich aber mit derselben Intensität um die verletzte Menschenwürde der »Importbräute« sorgen, hätte er bald deren Männer, Brüder und Väter am Hals. Ein letzter Rest seiner längst erloschenen Wirklichkeitswahrnehmung signalisiert ihm, dass ihm das nicht gut bekäme. Da unterschreibt er lieber eine Resolution gegen Zwangsprostitution und genießt zwischen zwei Margaritas das Gefühl, sich ganz toll engagiert zu haben. Es geht also nicht darum, etwas zu tun, sondern darum, so zu tun, als ob man etwas täte.
Die »aktive Verweigerungshaltung«, die Schneider in einem Teil der moslemischen Gemeinschaft ausgemacht hat, findet sich also auch in der »Mehrheitsgesellschaft«. Wissend, dass es ein Problem gibt, dem man nicht gewachsen ist, entscheidet man sich für aktive Ignoranz, organisiert Straßenfeste, gemeinsame Gottesdienste zu Mohammeds Geburtstag, Konferenzen zum Dialog der Kulturen, kurzum, man agiert wie der
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