Hurra, wir leben noch
Frau Baronin.«
»Ich habe Ihnen schon tausendmal gesagt, es heißt
nur
›Baronin‹ und nicht ›Frau Baronin‹, Herr Formann!«
»Entschuldigen Sie, Baronin, daß ich Frau Baronin gesagt habe, ich denke immer, Frau Baronin ist noch feiner.«
»Was hat der kleine Japaner fertiggebracht, Herr Formann?«
»Na, das da.«
»Wo haben Sie denn diese Postkarte her?«
»Das ist keine Postkarte, Baronin, das ist eine Künstlerkarte! Aus einem Bistro in der Rue Rivoli, bei der Place du Carrousel. Die haben noch haufenweise andere solche Künstlerkarten. Und Sie wissen doch, ich kauf’ mir überall, wo wir hinkommen, Karten von den berühmten Bildern, die Sie mir zeigen, damit ich nichts durcheinanderbringe bei diesen Massen.«
»Also, das ist doch … Das hat doch … Das muß doch verbo …«
»Warum verboten? Ich find’ es lieb. Schauen Sie sich die Künstlerkarte genau an, Baronin! Von vorn, da lächelt die Mona Lisa selig wie eine, die ein großartiges Abführmittel genommen hat, aber wenn Sie sie von rechts oder von links anschauen, dann kneift sie ein Auge zu wie die hübschen Huren hier in Paris!«
»Es ist unfaßbar …«
»Nicht wahr, Frau … eh, Baronin? Und so plastisch! Dieser Busen von der Person! Wie der aus der Künstlerkarte herausknallt! Übrigens, im Vertrauen: Einer von den Portiers im Hotel hat mir gesagt, daß der Leonardo ein Warmer gewesen ist, und die Mona Lisa war gar keine Frau, sondern dem Leonardo sein Lieblingsknäblein.«
»Herr Formann!«
»’tschuldigen Sie, gnädigste Frau Baronin, aber der Portier hat’s wirklich gesagt. Nach neuesten Forschungen soll es feststehen, daß …«
»Und der Busen?«
»Den hat der Vintschi aus dem Gedächtnis gemalt, stell’ ich mir vor, Baronin. Als Maler wird er ja Gott behüte schon einmal einen gesehen haben, auch wenn er ein Warm … pardon … auch wenn er andersrum gewesen ist. Vielleicht in Erinnerung an seine liebe Frau Mama …«
Diese Unterhaltung fand am Nachmittag des 28. Oktober 1956 im weltberühmten Louvre, vor dem Bildnis der Mona Lisa, zwischen Jakob und der Baronin von Lardiac statt. Unter ihrer Leitung absolvierte Jakob seit längerer Zeit Kurse in Malerei, Literatur, Konversation, Geschichte, Musik, Bildhauerei und vor allem in gutem Benehmen.
Die Freifrau hatte ihm der Fertigbauhaus-Ingenieur Karl Jaschke aus Murnau besorgt. Dort war die Aristokratin eines Tages erschienen und hatte sich um den Posten einer Public-Relations-Managerin beworben. Jaschke, in lebhafter Erinnerung an verschiedene peinsame Begebenheiten, die allesamt mit Jakobs universeller Unbildung zusammenhingen, war ans Telefon geeilt und hatte seinen Chef aus einer Konferenz in Hamburg rufen lassen …
»Jakob, hier ist Karl! Ich hab’ was für dich … Paß auf: Da ist gerade eine Baronin bei mir … Ich weiß, du willst von Baroninnen nichts wissen, aber du mußt! … Halt den Mund und hör zu! Also beschäftigen kann ich die Baronin bei mir natürlich nicht … Werbeabteilung wollte sie … aber die hat in ihrem Leben nie einen Finger krumm gemacht … Hat keine Ahnung, was das ist, Arbeit … Nein, eben nicht sofort rausschmeißen, ich habe sie engagiert … Für dich! … Na, wegen deiner Ungebildetheit und deinem schlechten Benehmen … Sei ruhig, jetzt rede
ich!
Bis zur Währungsreform, und noch ein bißchen danach, da hast du ungebildet sein können noch und noch, und Manieren brauchtest du überhaupt keine zu haben. Das hat sich jetzt aber geändert! Du weißt es selber. Denk an die vielen Leute, die dir vorn ins Gesicht schöntun, und hinten … Wir wissen doch, was die feinen Leute von dir sagen: Emporkömmling … Pülcher … Mit dem Mann kann man nicht verkehren … Der frißt wie ein Schwein … Der redet so ordinär … Na, ist doch aber auch wahr – oder? … So geht das nicht weiter mit dir, Jakob! Du brauchst eine Dame, die dir Benimm und Bildung beibringt! Und die schick’ ich dir jetzt. Hat zwar bloß ein einziges Hemd auf dem Hintern, aber einen Stammbaum, der geht zurück bis zu Kaiser Friedrich Lobesam … Hast natürlich keine Ahnung, wer das war … Ach, Mensch, mach kein Theater, ich kenn’ dich doch! Bis zu diesem Friedrich also! Oder in der Gegend da … Warte, sie hat mir ihre Papiere mitgebracht. Ich lese dir mal was vor … Also, sie nennt sich Très noble et très puissante Dame Baronesse de Lardiac, Dame Haute-Justicière … Ach so, du kannst ja nur zehn Wörter Französisch …
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