Hurra, wir leben noch
verzweifelt, Jakob! Wirst du uns helfen?«
»Klar werde ich euch helfen«, sagte Jakob freundlich. »Jetzt verstehe ich, warum du mich gefragt hast, wie ich es mir zurechtgelegt habe, daß ich für beide Seiten, für alle, arbeiten kann. Du hast Angst gehabt, ich sage, ich arbeite nur für die eine Seite, was, mein Alter?«
»Also ganz ehrlich, ja, ich habe Angst gehabt!«
»Aber grundlos! Schau mal, Jurij, mein Freund: Du sagst, das Unkraut vernichtet eure Ernten. Und ich glaube dir und will dir helfen. Was denn?
Wo kommen wir denn hin, wenn einer dem andern überhaupt nichts mehr glaubt? Zum Teufel, wenn ein Kommunist kommt und behauptet, zwei mal zwei ist vier, dann muß ich den Mut haben, zu sagen: Das stimmt! Obwohl ein Kommunist das behauptet hat!«
»Ach Jakob.« Blaschenko seufzte. »Es müßte mehr Menschen wie dich geben! Viel mehr! Millionen Jakob Formanns!«
»Um Gottes willen«, sagte der. »Willst du mir das Geschäft verderben?
Ein
Jakob Formann genügt mir vollkommen! Das habe ich schon dem Oberst Assimow gesagt, drüben in Washington, als er mich gebeten hat, sofort zu dir zu fliegen!«
32
»Ich kann Ihnen flüstern, Oberst Assimow, ich habe alle Hände voll mit mir selber zu tun«, hatte Jakob gesagt. Auf der Commonwealth Avenue. Als er am 7. Januar 1957 aus dem Haus trat, in dem der große Psychoanalytiker Dr. Watkins seine Praxis hatte. Da war er nämlich mit einem Zivilisten zusammengeprallt, der das Haus gerade betreten wollte.
»Na!« hatte Jakob ärgerlich ausgestoßen, um sogleich die Sonne in seinem Gesicht aufgehen zu lassen. »Nein, Herr Major, das ist aber eine Freude!
Wie kommen Sie denn hierher? Was machen Sie in Amerika?«
»Ich bin inzwischen Oberst geworden und jetzt Militärattaché an der Sowjetischen Botschaft«, hatte Assimow geantwortet. Er sah elend aus. Bleich, mager, mit tiefen Ringen unter den Augen. »Ich habe eine Verabredung mit einem Psychoanalytiker. Doktor …«
»Watkins, stimmt’s?«
»Stimmt«, sagte der Attaché.
»Bei dem bin ich auch in Behandlung!« gab Jakob fröhlich bekannt.
»Ich weiß.«
»Sie wissen? Obwohl ich erst gestern angekommen bin?«
»Wir wissen alles über Sie, Herr Formann. Wir kümmern uns um Sie. Sie haben uns einmal sehr geholfen. Um solche Leute kümmern wir uns. Damit sie uns wieder helfen.« Assimow trug den Mantelkragen hochgeschlagen und den Hut tief ins Gesicht gezogen. Er blickte sich dauernd ängstlich um. »Kommen Sie in den Hausflur.«
»Warum?«
»Es braucht niemand zu sehen, daß ein Mitglied der Sowjetbotschaft zu einem amerikanischen Analytiker geht. Sie werden uns wieder helfen! Alle, die wir beobachten, weil sie es einmal getan haben, tun es wieder. Keine Ausrede! Ich weiß, wie beschäftigt Sie sind …«
»Vor allem mit mir selber, Herr Oberst«, flüsterte Jakob, in Erinnerung an die letzte Stunde auf der Couch. »Mir geht es gar nicht gut. Darum bin ich ja zu Doktor Watkins gegangen. Ich habe eine Charakterneurose, und ich bin ein Don Pawlow, dem der Doktor hofft das Sabbern beizubringen, damit ich in der Gesellschaft anerkannt werde. Nein, da stimmt irgend etwas nicht, aber Sie verstehen schon …«
»Ich verstehe vollkommen, Herr Formann. Glauben Sie, mir geht es besser? Sexualschwäche, wie? Die ist der Grund von all dem!«
»Woher wissen Sie?«
»Bei mir ist auch Sexualschwäche der Grund.«
»Wofür?«
»Dafür, daß ich derartige Depressionen habe. Ich habe mir eingeredet – Idiot, der ich bin! –, die Depressionen kommen daher, daß wir schon in den kältesten Krieg hineinrodeln und ich bereits immer vom nächsten heißen Krieg träumen muß …«
»
Sie
träumen auch?«
»Natürlich. Und das ist das einzig Normale an mir. Das Unterbewußtsein arbeitet diesen Angstkomplex auf. Die einzige Hoffnung, die ich habe, daß es besser wird. Ursache: Sexualschwäche. Wie bei Ihnen, Herr Formann.«
»Wie bei mir.« Jakob nickte trübe. »Einst war ich ein so fröhlicher Mensch.«
»Ich auch! Erinnern Sie sich noch an Karlshorst? Gott, waren wir beide da fröhlich! Was, Herr Formann?«
»Ach ja«, sagte Jakob, immer trauriger. »Und noch vorher! Der Hase …«
»Welcher Hase?«
»Na, der, den ich so sehr liebe?«
»Sie lieben einen Hasen?«
Der Oberst erschrak.
»Ja! Und es gibt nur eine winzige kleine Chance für mich, ihn jemals wiederzubekommen. Trauerarbeit. In meinen Träumen.«
»Genau wie bei mir! Ich komme schon zu spät für die heutige Sitzung. Bleiben Sie in Washington?
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