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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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diesmal sind Sie pünktlich!« Er schmiß den Hörer in die Gabel. Diesmal war der Attaché pünktlich. Aber er platzte fast vor Wut.
    »Hier, die belgischen Francs. Sofort nach Paris zu Laureen damit. Und sofort wieder zurück. Sie müssen jetzt jederzeit einsatzbereit sein.«
    »Der Teufel soll Sie holen, Sie Hund!« (Irgend jemand hat heute schon mal Hund zu mir gesagt, überlegte Jakob träumerisch und ergebnislos.) »Wenn ich Schwierigkeiten mit meiner Potenz bekomme, lasse ich Sie von ein paar Macros zusammenschlagen!« Amadeo Juarez drückte den Gashebel des laufenden Motors ganz durch. In einem Rennstart schoß der Bentley davon. Ich fürchte, der hat schon Schwierigkeiten mit seiner Potenz, dachte Jakob. Er schlief recht tief in dieser Nacht. Ottakring bleibt Ottakring.

51
    »Ich werd’ verrückt! Formann! He! Jakob! Jakob Formann!« schrie der deutsche Kriegsgefangene, der mit einer Kolonne anderer Gefangener, bewacht von ein paar gelangweilten Soldaten, da am Hafen arbeitete.
    Verflucht, dachte Jakob. Das kommt davon, wenn man ein feiner Mann sein und sich bilden will. Er machte kehrt und versuchte zu türmen. Der Kriegsgefangene aus der Kolonne brüllte: »Mensch, Jakob! Was hast du denn? Ich bin’s doch, der Otto Radtke! Schau mich doch an! Orel! Kannst du dich nicht mehr erinnern, wie du mich zum Verbandsplatz geschleppt hast?«
    Jetzt kommt der Radtke mir mit Orel, dachte Jakob wütend. Da muß man drei Tage warten, bis die Schecks, die man ausgeschrieben hat, in New York eingetroffen und bestätigt worden sind, damit man endlich diesen Schieber richtig aufs Kreuz schmeißen kann. Da fährt man drei Tage aus Brüssel weg mit einem gemieteten Wagen – nach Gent und Ostende und Zeebrügge und natürlich auch Antwerpen, und weil man doch gar nichts weiß und kann und einem solche Sachen wie die mit der Fingerschale und den Austern passieren und man nichts von Literatur und Malerei und Geschichte versteht, eben darum will man sich bilden und geht in Museen und weiß jetzt, zum Beispiel, daß die Meister der südniederländischen Malerei van Dyck, Matsys, Teniers, Rubens und noch ein paar andere sind, die man jetzt auch kennt, und man schaut sich die Pinseleien in den Kirchen und in der Kunstakademie hier und das Rubenshaus und eine Masse anderes Zeug an (viel zu fett, diese Weiber, die der Rubens gemalt hat!), und dann steht im Stadtführer, den man sich gekauft hat, man muß unbedingt den Hafen besichtigen, neben Hamburg und Rotterdam den bedeutendsten Seehafen Europas, im Scheldebogen gelegen, auswendig lernt man das, gottverflucht, herfahren tut man, herumlaufen tut man in Schnee und Dreck, nahe ran an die Hafenbecken, weil man gesehen hat, da schuften sich arme Landserschweine ab in ihren verdreckten Uniformen, mit dem weißen PW auf dem Mantel- oder Jackenrücken. Und dann!
    Natürlich kenne ich diesen Radtke, der so schreit, weil er mich erkannt hat. Als wir wieder mal eine ›Frontbegradigung‹ in Rußland vorgenommen haben, hat’s ihn erwischt, nicht sehr gefährlich, Steckschuß im rechten Schenkel, aber er hat nicht laufen können, ich hab’ ihn auf den Rücken genommen und zum Verbandsplatz geschleppt, und daran erinnert der Kerl sich, was fällt dem ein, man war und ist immer viel zu gutmütig.
    Der Kerl schreit schon wieder. Mensch, halt doch deine dämliche Schnauze. Nix zu machen. Hält sie nicht. Da sind jetzt schon mindestens zwei Dutzend Kameraden aufmerksam geworden, und ein paar von den Wachtposten zeigen auch ein müdes Interesse. Mist verdammter, ich muß zum Radtke, sonst schreit der Kerl so lange, bis ganz Antwerpen zusammenläuft. Wirklich, ich könnte mir selbst in den Hintern treten. Da sieht man es wieder: Wer sich in Kultur und Bildung begibt, kommt darin um! Also jetzt nix wie zum Radtke und gezischt: »Halt’s Maul, ich flehe dich an!«
    Gott sei Dank schneit es, und es ist bereits sehr dämmerig. Kalter Nordwind, richtiges Dreckwetter. Die Posten haben schon wieder jedes Interesse verloren und stapfen herum, weil ihnen kalt ist. Die amerikanischen Soldaten, die alle Waren im Hafen bewachen sollen, hocken in ihren Baracken, die sind nicht so dämlich wie ich.
    »Aber …«, begann Radtke, mit großen Augen, treuherzig wie ein Bernhardiner. »Aber … wieso bist du raus? Und so ein feiner Pinkel? Was machste denn hier? Richtig entlassen?«
    »Ich hab’ mich selber entlassen.« Jakob bemerkte, daß ihn viele unfreundliche Gesichter ansahen. »Meine Herren, es ist

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