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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Jakob. »Freuen Sie sich doch! Ich bringe Ihnen Leute, ich habe Dollars, wir können sofort anfangen mit dem Bauen!«
    »Eben nicht, verflucht.«
    »Warum, Herr Ingenieur?«
    »Alles habe ich mit den letzten Zügen noch rechtzeitig in den Westen schicken lassen. Ich war selber in Niesky dabei und habe aufgepaßt. Holz, Aluminium, Spanplatten, Eternitplatten … dann alles hier gelagert …«
    »Na, hurra doch!«
    »Nix hurra doch!«
    »Warum nix hurra doch?«
    »Weil eines nicht da ist.«
    »Was?«
    »Die Verbindungsstücke der einzelnen Bauelemente.«
    »Die Verbindungsstücke sind nicht da?« wiederholte Jakob idiotisch und dementsprechend langsam.
    »Nein, leider! Ich habe das Verladen in die Waggons selber überwacht! Aber kurz vor der Abfahrt der Waggons bin ich nach Berlin befohlen worden. Die Russen waren schon sehr nahe. Und da haben die Trottel in Niesky vergessen, die Waggons mit den Verbindungsstücken an die Züge zu hängen. Ohne die Verbindungsstücke ist nichts zu machen. Es ist ja doch alles genormt und zugepaßt auf den Millimeter.«
    »Die Verbindungsstücke sind also noch in Niesky?« fragte Jakob nach einer Pause, die er benötigt hatte, um seine Fassung wiederzugewinnen. Das war in der Tat ein Schicksalsschlag. Jakob fühlte die ihm schon bekannte angenehme Wärme in sich aufsteigen. (Paradoxes Symptom in akuten Fällen seiner Rasiermesserschneiden-Existenz.)
    »Sage ich doch, Herr Formann! Wissen Sie, wo Niesky liegt? Weit hinter Dresden! Gar nicht weit von Görlitz! Also ganz, ganz hinten in der Sowjetischen Zone! Und das ist noch nicht alles!«
    »Noch nicht alles?«
    »Nein! Ich habe immer noch Verbindung mit Christoph und Unmack, wissen Sie. Halten Sie sich fest, Herr Formann: In den letzten Wochen haben die Russen damit begonnen, Christoph und Unmack zu demontieren. Alles, was da noch an Fertigbauhäusern und Bauteilen liegt, aber wirklich alles, wird verladen. Ab in die Sowjetunion! Natürlich, die brauchen in der Sowjetunion auch dringend Häuser, man kann es ihnen nicht übelnehmen!
    Aber damit ist für uns Sense. Gleich zweimal Sense! In kurzer Zeit werden die Verbindungsteile nicht mehr in Niesky liegen. Und selbst wenn sie dort liegenbleiben – es kommt doch kein Mensch aus dem Westen so weit in den Osten hinein und holt das Zeug heraus!«
    Die junge Frau Jaschke wurde plötzlich von einem Weinkrampf geschüttelt.
    Jakob erhob sich hastig.
    »Trocknen Sie Ihre Tränen, Frau Jaschke! Und Sie, Herr Ingenieur« (verflucht, ist meine Hose noch feucht!), »trommeln bitte geeignete Leute zusammen und suchen geeignete Werkhallen. Es wird Sonderzuteilungen geben, mehr Essen, mehr Marken, mehr Heizmaterial, für alle …«
    »Für … für wen alle?«
    »Na, für alle, die die Fertighäuser bauen.«
    »Aber die kann doch keiner bauen! Die Verbindungsstücke sind in Niesky …«
    »Ja, ja, ja«, unterbrach ihn Jakob Formann. »Das haben Sie mir schon einmal gesagt, Herr Ingenieur. Entschuldigen Sie, wenn ich so schnell aufbreche. Ich bin in ein, zwei Wochen wieder da. Grüß Gott …«
    Fassungslos schaute Herr Jaschke dem Davoneilenden nach und murmelte: »Verflucht, sprach Max, und schiß sich in die Hose!«

64
    »Herr Hölzlwimmer, Sie haben mir einmal erzählt, daß diese ehemalige Flugzeugfabrik hier bei Frankfurt nur Zweig eines großen Werkes … Mann Gottes, vor mir brauchen Sie doch nicht strammzustehen!« sagte Jakob, schwer irritiert.
    Ignaz Hölzlwimmer stand eisern weiter stramm.
    »Zucht und Ordnung, Herr Formann! Sie sind der Boß. Man weiß, was sich gehört. Nicht das Gesindel draußen natürlich. Aber ein Mann wie ich!«
    Jakob seufzte.
    »Na schön, Herr Hölzlwimmer …« Jakob und Wenzel Prill saßen in Prills Baracke auf der Hühnerfarm nahe Frankfurt am Main. Draußen tönten zu ununterbrochenem Gegacker Lieder von Frank Sinatra. Im Moment sang der gerade ›A foggy day in London town …‹ Der Betrieb lief auf Hochtouren. »… also das hier ist nur Zweig eines großen Werkes in der Nähe von Berlin gewesen?«
    »Jawoll, ja! Stimmt. Bin immer wieder nach Berlin zitiert worden.«
    »Warum?«
    »Intrigen! Gemeinheiten! Verleumdungen! Der Mann hat mich gehaßt wie die Pest. Habe ich doch schon erzählt!«
    »Erzählen Sie’s noch mal!«
    »Jawoll, ja! Ist ein ganz hohes Tier da oben gewesen, in der Verwaltung. Ganz hohes Tier auch bei der Arbeitsfront. Was mich diese Sau gepiesackt und bedroht hat – ich habe immer um mein Leben gezittert, Herr Formann, so

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