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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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der
Mütterlichkeit wiedergefunden, wo ich beim Hätscheln und Tätscheln des Leih-Homunculus
von nebenan praktisch vor Wonne in Verzückung geriet. Ich hatte gut gegessen, zu
viel Wein getrunken und eine junge Frau umarmt, die ich kaum kannte. Kurzum, ich
hatte mich bestens unterhalten und hatte die feste Absicht, es wieder zu tun.
    Es mag keine
Überraschung für Sie sein, dass sich unser Gehirn gar nicht so sehr von dem unserer
Säugetierverwandten, der Ratten, unterscheidet. Mein eigener Rattenmann hat sein
Leben damit verbracht, ein Arten übergreifendes, subkortikal primäraffektives Selbst
zu propagieren und unsere gemeinsamen Hirnareale und gemeinsame Neurochemie herauszustellen.
Erst in späteren Jahren begann er, diesen Kernpunkt mit dem Rätsel höherer Ebenen
von Reflexion, Spiegelung und Selbstbewusstsein bei Affen, Delphinen, Elefanten,
Menschen und (seit neuestem) auch Tauben in Zusammenhang zu bringen, Artikel über
die verschiedenen Systeme jenes geheimnisvollen Etwas zu publizieren, das wir Selbstsein
nennen, seine Erkenntnisse mit Phänomenologie, mit Zitaten des leuchtenden Merleau-Ponty
und des dunkleren Edmund Husserl zu bereichern, freundlicherweise zur Verfügung
gestellt von seiner frau , die ihn Schritt für Schritt durch
die Philosophie führte, wenn nötig bis zu Hegel, Kant und Hume zurückging (obwohl
der alte Mann für dergleichen weniger Verwendung hat, er interessiert sich für Verkörperlichung, jawohl, für den Leib, das Schema corpore!) und jedes seiner Worte sorgfältig las, peinlich genau Fehler korrigierte
und an der Prosa feilte. Nein, stöhnen Sie, nicht sie, nicht die von der kleinen
Gestalt, die mit den roten Locken und dem wohlgeformten Busen! Nicht die Dichterin!
Doch, es ist so, ich sage es Ihnen in aller Feierlichkeit. Der große Boris Izcovich
hat wiederholt das Gehirn seiner eigenen Frau geplündert, hat ihre Beiträge sogar
anerkannt. So? So?, sagen Sie. Ist das denn nicht in Ordnung? Es ist nicht in Ordnung,
weil sie ihm das nicht glauben. Er ist der Philosophenkönig
und der Mann der Rattenwissenschaft.
Ich frage Sie allerdings, liebe Leser, wie viele Männer ihren Frauen für diesen
oder jenen Beitrag gedankt haben, gewöhnlich am Ende einer langen Liste von Kollegen
und Stiftungen? «Ohne die unermüdliche Unterstützung und unschätzbare Geduld meiner
Frau Muffin Pickle sowie meiner Kinder Jimmy junior und Topsy Pickle wäre dieses
Buch nicht geschrieben worden.»
    Ohne den beidseitigen
präfrontalen Cortex meiner Frau Mia Fredricksen würde es dieses Buch nicht geben.
    Diese Phase
ist vorbei», sagte meine Mutter, als ich sie nach Männern in ihrem Leben fragte.
«Ich will nicht noch einmal für einen Mann sorgen.» Ich stand hinter ihr, als sie
dies sagte, massierte ihr den Rücken und sah nur die Linie ihres gerade geschnittenen
weißen Haars. «Dein Vater fehlt mir», sagte sie. «Unsere Freundschaft, unsere Gespräche
fehlen mir. Er konnte schließlich über vieles sprechen, aber, nein, ich sehe keinen
Vorteil darin, mich jetzt nochmal mit jemandem einzulassen. Witwer heiraten wieder,
weil es ihr Leben leichter macht. Witwen häufig nicht, weil es ihr Leben schwerer
macht. Regina ist eine Ausnahme. Ich vermute, sie braucht Aufmerksamkeit. Sie flirtet
mit jedem.»
    Während ich
meine Finger sanft in ihren Hals drückte, setzte meine Mutter mit nach vorn gebeugtem
Kopf das Thema Geschlechterbeziehungen mit einer Geschichte fort: Als sie am Abend
zuvor von ihrem Lesezirkel zurückgekommen war, hatte sie zufällig Oscar Busley
getroffen, einen der ständig weniger werdenden männlichen Bewohner von Rolling
Meadows. Obwohl seine Wanderjahre hinter ihm lagen, hatte sich Oscar seine Beweglichkeit
bewahrt und seine persönliche Geschwindigkeit mit Hilfe eines Elektro-Rollstuhls
erhöht. Busley war, liebenswürdig plaudernd, neben meiner Mutter den Korridor zu
ihrer Wohnung entlanggeschwirrt. Als sie an der Tür ankamen, war sie stehen geblieben,
um ihre Schlüssel aus der Handtasche zu holen. Der Mann hatte wohl die Lenkstange
des Rollstuhls losgelassen und jäh ausgeholt, denn meine Mutter stellte zu ihrer
Überraschung fest, dass Oscar in Höhe ihres Bauches hing. Er umschlang sie fest
mit den Armen und schmiegte sein Haupt unter ihre Brüste. Ebenso jäh und mit wahrscheinlich
größerer Kraft (sie machte zweimal in der Woche Gewichtheben) hatte sich meine Mutter
aus der unwillkommenen Umarmung befreit, schnell ihre Wohnung betreten und die
Tür
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