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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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einundzwanzigsten Jahrhundert mit unseren elektronischen
Spielzeugen, unserem Hispeed-Firlefanz und unseren einverständlichen Scheidungen.
Meine Antwort lautet: Ho! Ho! Ho! Der Kummer mit den Geschlechtern hört nie auf.
Nennen Sie mir eine Epoche, und ich erzähle Ihnen die tränenreiche Geschichte einer
Ehe, die den Bach runtergeht. Konnte ich Boris wirklich Vorwürfe machen wegen der
Pause, wegen des Bedürfnisses, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen, den pausalen
Schlitz zu schlitzen, solange noch Zeit war, noch Zeit für den alten Herrn, der
er im Geschwindschritt wurde? Haben wir nicht alle das Recht, uns auszutoben, zu
bumsen, es zu treiben? Dr. Johnsons eigenes Geschlechtsleben bleibt unter Verschluss,
größtenteils, dem Himmel sei Dank; was wir aber wissen, ist, dass Peter Garrick
David Hume erzählte, der es Boswell erzählte, der es in sein Tagebuch eintrug, dass
Garrick, nachdem er eines Abends im Theater Dr. Johnsons Verlustierung beobachtet
hatte, laut seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, der eminente Lexikograph möge oft
wiederkommen, aber der Große Mann beteuerte, das werde er nicht: «Die weißen Möpse
und Seidenstrümpfe Eurer Schauspielerinnen erregen mein Gemächt», sagte der Weise.
Wir haben alle Kitzler, ob adaptiv oder nicht, und es liegt in unserer Natur, sie
zu benutzen. Man kann krank sein vor Eifersucht und Einsamkeit und das trotzdem
verstehen.
    Da gibt es
aber noch einen anderen Aspekt langjähriger Ehen, über den nie gesprochen wird.
Was als Augenweide beginnt, der Anblick des schimmernden Geliebten, der das Verlangen
nach einem Rund-um-die-Uhr-Geschnacksel erregt, wandelt sich mit der Zeit. Die Partner
altern und verändern sich und gewöhnen sich so an die Gegenwart des anderen, dass
das Sehen aufhört, der wichtigste Sinn zu sein. Wenn ich morgens aufwachte und sah,
dass Boris' Seite des Bettes leer war, horchte ich auf die Toilettenspülung oder
auf das Geräusch, wenn er den Teekessel mit Wasser füllte. Ich spürte die harten
Knochen seiner Schultern, wenn ich die Hände in einem wortlosen Gruß darauflegte,
während er Zeitung las, ehe er ins Labor ging. Dabei sah ich ihm weder ins Gesicht,
noch musterte ich seinen Körper; ich fühlte einfach, dass er da war, genauso wie
ich ihn nachts im Dunkeln roch. Der Geruch seines warmen Körpers war ein Teil des
Zimmers geworden. Und wenn wir unsere Gespräche führten, die oft bis in die Nacht
gingen, waren es seine Sätze, auf die ich achtete. Aufmerksam für die Übergänge
von einem Gedanken zum nächsten, konzentrierte ich mich auf den Inhalt seines in
meinem Kopf sich abspulenden Redens und brachte es in dem laufenden Dialog zwischen
uns unter, der manchmal schonungslos war, aber meistens nicht. Es kam selten vor,
dass ich ihn prüfend ansah. Manchmal, wenn wir es miteinander gemacht hatten und
er nackt durchs Zimmer ging, betrachtete ich seinen langen, blassen Körper mit dem
runden Bäuchlein und das linke Bein mit der blauen Krampfader und seine weichen,
wohlgeformten Füße, aber nicht immer. Das ist nicht die vorsätzliche Blindheit einer
neuen Anziehung; es ist die Blindheit einer durch Jahre parallelen Lebens geschmiedeten
Intimität, von dessen Verletzungen und Linderungen gleichermaßen.
    Bei unserem
vorletzten Telefonat vor ihrem August-Urlaub erzählte ich Dr. S. etwas, was ich
noch nie jemandem erzählt hatte. Eine Woche bevor Stefan sich umbrachte, saßen
wir beide zu Hause in Brooklyn auf dem Sofa und warteten auf Boris. Mein Schwager
war erst zwei Tage zuvor aus der Klinik entlassen worden. Er nahm sein Lithium,
aber er hatte mir gerade erklärt, dass es ihm den Verstand plättete und die Welt
entfernte. Er ließ sich ins Sofa sinken, schloss die Augen und sagte: Aber sogar mit leerem Hirn liebe ich dich, Mia, und ich sagte,
dass ich ihn auch liebte, und er sagte: Nein, ich liebe dich wirklich. Ich habe dich immer geliebt, und es bringt mich um.
    Stefan war
verrückt, aber er war nicht immer verrückt. Damals war er nicht verrückt. Und er
war schön. Ich hatte ihn immer schön gefunden, auch wenn er erschöpft und enttäuscht
war. Die Brüder ähnelten sich, aber Stefan war viel schmaler und weitaus zarter,
mit fast weiblichen Zügen. Seine Manien hungerten ihn aus, weil er zu essen vergaß.
Wenn er manisch war, unternahm er Sextouren mit Flittchen, die er in Bars auflas,
oder er gab sich einem Bücher-Kaufrausch hin, den er sich nicht leisten konnte,
oder er sprudelte wie mein Freund Niemand über vor

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