Hutch 01 - Gottes Maschinen
stammen.«
»Wen stellt das Gesicht dar? Weiß man es?«
Richard nickte. »Gott.«
»Aber das ist doch nicht der gleiche Gott wie im Unteren Tempel?«
»Nein. Dies hier ist eine männliche Version. Sie ist ein paar Jahrtausende jünger.«
»Universale Gottheiten …«
»Was?«
»… scheinen niemals zu lächeln. Nicht in einer einzigen Kultur. Was ist denn daran schön, allmächtig zu sein, wenn man es nicht genießt?«
Er drückte ihre Schulter. »Sie haben schon eine recht eigenwillige Art, die Dinge zu betrachten.«
Sie sanken zum Boden hinunter und folgten einer Reihe grüner Lichter. »Was ist mit der industrialisierten Gesellschaft geschehen?« fragte sie. »Die mit dem Kraftwerk?«
»Ihnen ging der Treibstoff aus. Buchstäblich. Sie erschöpften ihre fossilen Brennstoffvorräte und hatten keinen Ersatz entwickelt.«
»Keine Atomkraft?«
»Nein. Wahrscheinlich haben sie sie nie entdeckt. Möglicherweise gibt es während der Entwicklung einer Zivilisation nur eine kurze Zeitspanne, während der man die Gelegenheit dazu findet. Die alten Motoren haben keinen Treibstoff mehr, und es bedarf einer großen, gemeinschaftlichen Anstrengung. Vielleicht ist es auch einfach so, daß man genau im richtigen Moment einen großen Krieg braucht?« Richard war während seiner letzten Worte immer nachdenklicher geworden. »Die Nok haben die Atomenergie ebenfalls nie entdeckt.«
Sie befanden sich noch immer im Mittelschiff des Tempels. Das Sonnenlicht war durch das Dach ausgesperrt, und die einzige Lichtquelle waren die Markierungslampen. Hin und wieder schwamm ein Meeresbewohner dicht an ihnen vorbei. Nach längerem Schweigen sagte Richard leise: »Es muß schrecklich sein, das alles aufgeben zu müssen.«
Sie schwammen weiter und hielten gelegentlich vor neuen Reliefs. Ganze Wände waren mit Zeilen rätselhafter Symbole vollgeschrieben. »Wir glauben, es sind ihre Legenden. Geschichten. Egal, wir haben alles holografiert, und irgendwann werden wir es herausfinden. Und gleich sehen Sie das, weswegen ich hergekommen bin.«
Ein Schacht öffnete sich zu ihren Füßen, und die blauen Lampen verschwanden darin. Ein Paar pulsierender Schläuche verlief neben den Lampen, jeder so dick wie der Kopf eines erwachsenen Menschen. »Schlammsauger«, erklärte Richard auf Hutchs fragenden Blick hin.
Er machte einen Schritt über den Rand des Lochs, und seine Gewichte zogen ihn sanft nach unten. Hutch wartete einige Augenblicke und folgte ihm. Richard sagte: »Wir befinden uns jetzt im Unteren Tempel. Willkommen im neunten Jahrtausend vor Christus.«
Der Schacht war durch graues Gestein getrieben worden. Hutch fragte: »Richard, glauben Sie wirklich, daß die Chance besteht, einen Rosetta-Stein zu entdecken? Es erscheint mir ein wenig unwahrscheinlich.«
»Mir nicht. Überlegen Sie mal. Hier befand sich eine wichtige Straßenkreuzung. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß die Quraquat eine Inschrift oder ein Epigramm oder vielleicht auch ein Gebet in eine Mauer gemeißelt haben – und das in verschiedenen Sprachen. Henry ist davon überzeugt, daß sie es getan haben. Die einzige Frage ist, ob die Inschriften die Jahrtausende überlebt haben. Und ob uns genügend Zeit bleibt, sie zu finden – falls sie noch existieren.«
Hutch war noch immer nicht auf dem Grund des Schachts angekommen. Richard fuhr fort: »Die steinerne Mauer hinter Ihnen bildet einen Teil des äußeren Schutzwalls. Wir befinden uns außerhalb des Militärstützpunktes.«
Am Boden des Lochs öffnete sich ein Tunnel zur Seite, und die Schläuche verschwanden zusammen mit den blauen Markierungsleuchten darin.
»Wir sind jetzt auf einer Ebene angekommen, die zur Zeit des Stützpunktes nur wenig oberhalb des Erdbodens lag.« Richard schwamm durch den Tunnel voran. »Im Augenblick werden die Sedimente abgesaugt. Ein endloser Kampf. Die Grabung verschlammt und versandet fast genauso schnell wieder, wie wir den Dreck nach draußen schaffen.«
Hutch folgte ihm. Sie sah an ihm vorbei und erblickte das weiße Licht von Scheinwerfern und Gestalten, die sich darin bewegten.
»George?« Richard sprach jetzt auf dem allgemeinen Kanal. »Wo sind Sie?«
Eine riesiger Schatten kroch über eine schwarze Kiste heran. Er blickte nach oben zu ihnen, und eine Stimme ertönte: »Verdammt. Ich dachte, Sie wären die Ablösung. Hallo Richard, wie geht es Ihnen?«
Hutch vernahm das leise Summen von Maschinen und das Gurgeln von Wasser.
Richard sagte:
Weitere Kostenlose Bücher