Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
verstärkt. KIs waren KIs, und Gott wusste, dass sie, wie jeder praktizierende Arzt, ständig mit den Dingern zu tun hatte. Dennoch waren die Stimmen, die eine spinale Erkrankung diagnostizierten oder eine Verjüngungskur verordneten, irgendwie doch noch etwas entschieden anderes als ein intelligentes Schiff, das, mit ihr als einzigem Passagier an Bord, seine eigenen Entscheidungen fällte.
Die Nachrichtenleuchte blinkte, und ein unbekanntes weibliches Gesicht zeigte sich auf einem der Monitore. »Embry?«, fragte die Frau mit dem Abzeichen der Akademie am Arm.
»Ja. Was kann ich für Sie tun?«
»Embry, mein Name ist Katie Robinson.« Ihre Aussprache war so klar und präzise, dass Embry sich fragte, ob sie Schauspielerfahrung hatte. »Wir werden gleich von der Wendy abfliegen und sind in wenigen Minuten bei Ihnen. Bitte packen Sie Ihre Sachen. Nehmen Sie alles mit, was Ihnen gehört. Wir nehmen Sie dann auf dem Rückweg mit zu unserem Schiff.«
»Darf ich fragen, warum?«
»Weil wir Ihre Lebenserhaltung abschalten müssen.«
Keine dreißig Minuten später waren sie da und machten sich sofort an die Arbeit. Acht Personen enterten den Frachtraum im unteren Deck und montierten beinahe sämtliche Metallteile von den Verschlägen, Containern, Schränken, Kisten und Trennwänden. Dann gingen sie ein Deck höher und plünderten die Quartiere und den Aufenthaltsbereich in beinahe der gleichen Weise.
Katie half Embry, ihr Quartier zu räumen. Als sie fertig waren, wiederholte sich der Prozess auch hier mit den meisten Metallteilen: Bettverkleidung, Lampen, ein Klapptisch, ein Einbauschrank. Schließlich bedankten sich die Eindringlinge bei ihr, entschuldigten sich für die Unannehmlichkeiten, luden ihre Beute samt Embry in ihr Shuttle und verließen das Schiff.
Das Beruhigungsmittel wirkte nicht. Kellie lauschte dem fernen Klang der Wellen – sie lagerten nun endlich in der Nähe der Bucht der Schlechten Neuigkeiten – und betrachtete Jerry Morgan, der sich wie ein gewaltig aufgedunsener Mond über die Berge senkte. Im Osten zeigte sich bereits das erste Licht am Himmel. Hutch hielt Wache, und ihre schmale Gestalt zeichnete sich an einem Baum gleich hinter dem Feuer ab.
Schließlich gab Kellie auf, stemmte sich hoch und schlang die Arme um die Knie.
»Haben Sie ihn geliebt, Kellie?« Der unerwartete Klang von MacAllisters Stimme erschreckte sie. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt, doch nun drehte er sich um. Sein Gesicht lag jedoch im Schatten verborgen.
»Nein«, sagte sie. Dann, einen Moment später: »Ich glaube nicht.«
»Es tut mir Leid.« Er setzte sich auf und griff nach der Kaffeekanne.
»Ich weiß«, entgegnete sie. »Es tut uns allen Leid.«
Er schenkte eine Tasse Kaffee ein und bot sie ihr an, aber Kellie lehnte ab. Sie wollte ihrem Magen jetzt wirklich gar nichts zumuten.
»Manchmal«, sagte er, »denke ich, das Leben besteht nur aus einer langen Reihe verpasster Gelegenheiten.«
Sie nickte. »Wissen Sie, was mir wirklich zu schaffen macht?«, fragte sie. »Dass wir ihn hier zurücklassen müssen. An diesem gottverlassenen Ort.«
»Dieser Ort ist nicht schlechter als jeder andere, Kellie. Für ihn gibt es da keinen Unterschied mehr.«
Sie fühlte sich so leer. »Er war ein netter Kerl«, sagte sie, nur um sich gleich darauf mit zusammengebissenen Zähnen gegen eine Woge von Zorn und Tränen zu stemmen. Aber plötzlich stieg unsägliche Trauer in ihr auf, und sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte sie nicht bezwingen. MacAllister nahm sie in seine Arme. »Lassen Sie es raus«, sagte er.
Hutch sprach mit jemandem. Kellie hatte sich wieder ein wenig erholt und ihren Gefühlssturm niedergerungen, doch während sie sich etwas Wasser einschenkte, fühlte sie sich umso leerer.
In der Nähe hob Hutch, die sich gerade versteift hatte, frustriert beide Arme. Kellie kannte die Geste, und sie ließ ihr die Haare zu Berge stehen.
Das Gespräch endete, und Hutch trat aufgeregt an das Lagerfeuer. »Lasst uns aufbrechen, Leute. Dies ist unser letzter Tag.« Neben Nightingale ging sie in die Knie und schüttelte ihn sacht.
»Das kann nicht stimmen«, sagte MacAllister. »Sie haben uns doch gesagt, wir hätten bis morgen Nacht Zeit.«
»Sie haben ihre Meinung geändert. Los, los, wir müssen weiter.«
Eine weitere Aufforderung brauchte Mac nicht. Hastig suchte er seine Zahnbürste. »Wie weit ist es noch?«, fragte er.
»Dreißig Kilometer«, entgegnete Hutch. »Ungefähr.«
»An einem Tag?
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