Hyänen
passiert waren.
«Norman hat angerufen», sagte Gray. «Ich soll dich grüßen.»
«Wie geht’s ihm denn?»
«Ganz okay.» Und dann fragte er: «Gina?»
So, wie er ihren Namen aussprach, stimmte etwas nicht. Sie hörte auf zu fegen und sah ihn an.
«Ja?»
«Hast du in meinem Portemonnaie geschnüffelt?»
«Wie hast du das denn gemerkt?»
«Es liegt nicht mehr so wie vorher.»
«Puh, dir kann man aber auch nichts vormachen.» Sie nahm wieder den Besen. «Ich muss mich wohl entschuldigen.»
«Das erwarte ich gar nicht.»
«Es ist nun mal – du hast so viele Geheimnisse. Bei dir weiß ich nie, was nun stimmt und was nicht.» Sie schüttete die Haare vom Kehrblech in den Mülleimer. Dann schaute sie ihm ins Gesicht. «Wer zum Teufel bist du wirklich? Heißt du Gray? Oder heißt du Richard Garber? Und was hat das mit dem Seemann zu bedeuten?»
Er war in Ansley, Kansas, aufgewachsen. Südwestlich von Dodge City. Sein Vater hieß Terry Garber. Terry hatte zwei Brüder, Clay und Kenneth. Die Brüder betrieben einen Verleih für landwirtschaftliche Ausrüstung. Sie lebten mit ihren Familien auf kleinen, nebeneinanderliegenden Farmen ein paar Kilometer außerhalb der Stadt.
In Ansley kannte jeder die Garber-Brüder. Sie waren schwere Alkoholiker und prügelten sich gern, für sie war das Sport. Freunde hatten sie keine, außer sich selbst. Wenn man mit einem der Garber-Brüder aneinandergeriet, bekam man es gleich mit allen dreien zu tun. Sie fuhren betrunken Auto, jagten in der Schonzeit, betrogen ihre Kunden und zahlten ihre Schulden nicht, schossen auf die Haustiere der Nachbarn und betraten unerlaubt deren Grundstücke, verprügelten ihre Frauen und Freundinnen in aller Öffentlichkeit, und die örtlichen Polizisten sahen weg, weil sie keinen Ärger wollten. Das Versteck der Dalton-Bande war nur fünfundzwanzig Kilometer von Ansley entfernt, und man konnte sagen, die Stadt hatte mit den Garber-Brüdern eine Bande moderner Schurken in ihrer Mitte.
Richard hatte einen Bruder, Mason, der zwei Jahre älter war als er, und zwei Schwestern, Sharon und Marsha. Ihre Mutter war eine dünne, nervöse Frau, die eine Winston nach der anderen rauchte und vom Wunsch besessen war, ihren Ehemann glücklich zu machen. Die Eltern redeten nicht mit den Kindern, es sei denn, sie hatten etwas an ihnen auszusetzen oder sie sollten eine Arbeit erledigen. Sie berührten sie niemals liebevoll, sondern nur aus Wut. Die schlimmste Brutalität mussten die beiden Jungen ertragen. Ihr Vater schlug sie, weil sie zu laut waren oder weil ihr Spielzeug herumlag, er schlug sie, weil sie weinten, nachdem er sie geschlagen hatte, und am häufigsten schlug er sie, ohne dass sie eine Ahnung hatten, warum. Das machte ihnen die meiste Angst. Es gab auch noch andere Strafen. Sie bekamen kein Essen, mehrere Tage nacheinander. Oder sie mussten für ein paar Stunden draußen bleiben, bei schlechtem Wetter oder in der Hitze des Sommers. Einmal stieß Richard beim Abendessen sein Glas Kool-Aid um. Terry sprang auf und ging mit seiner Flinte in den Hof, wo Richards kleiner Hund Zipper an einem Baum angebunden war. Er schoss immer wieder auf ihn, bis er buchstäblich in Stücke gerissen wurde, und Richard musste aufsammeln, was von ihm noch übrig war.
Terry war brutal und dumm, und er gab sein Bestes, aus seinen Jungs ebenfalls brutale und dumme Menschen zu machen. Als Mason in der vierten Klasse war, wurde er bei einer Prügelei auf dem Spielplatz von einem anderen Jungen besiegt. Als sein Vater davon erfuhr, peitschte er ihn aus; er drohte damit, ihn so lange zu peitschen, bis er sich rächen würde. Am nächsten Tag schlich sich Mason von hinten an den Jungen heran und schlug ihn mit einem Backstein bewusstlos. Als die Eltern des Jungen herausfanden, wer der Täter war, flehten sie die Schulleitung an, nichts zu unternehmen, weil ihre ganze Familie dann zur Zielscheibe der Garber-Brüder würde. Am nächsten Tag kam Mason zur Schule, als ob nichts gewesen wäre; das konnte sein Opfer nicht so schnell wieder.
1983 , als Richard acht Jahre alt war, wurde er eines Nachts durch laute Schreie geweckt. Er rannte ins Wohnzimmer. Seine Mutter lag auf dem Fußboden, und Terry saß auf ihr und versuchte, sie zu erwürgen. Mason und die Schwestern sahen zu, wie Richard seinem Vater auf den Rücken sprang und die Arme um seinen Hals legte. Terry war knapp einen Meter neunzig groß und mehr als hundert Kilo schwer. Er stand auf und torkelte mit dem kleinen
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