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Hyänen

Hyänen

Titel: Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Epperson
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hübsch und ähnelte dem Bild auf ihrem Plakat weit mehr als das unscheinbare Spinnenmädchen.
    «Hallo», sagte sie.
    «Hey», sagte Gray. «Was kostet ein Blick in die Zukunft?»
    «Zehn Dollar.»
    «Hm. Kann man da noch handeln? Ich bin knapp bei Kasse.»
    «Na gut, sieben fünfzig.»
    «Abgemacht.»
    Er stellte den Seesack ab und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
    «Sie sind noch ganz schön jung für so was», sagte er und gab ihr das Geld.
    «Ich bin alt genug.»
    «Schon lange dabei?»
    «Seit ich zwölf bin.»
    «Und wo ist die Kristallkugel?»
    «Ich benutze keine Kristallkugel. Ich nehme Karten.»
    Dann legte sie ein Kartenspiel vor Gray auf den Tisch.
    «Erst mischen, dann zweimal abheben.»
    «Jawohl, Ma’am.»
    Während Gray mischte, sah Madame Lisa zu Richard hinüber. Er machte sie neugierig. Sie hatte große Augen mit dunkler Iris, auch ihre Pupillen waren groß und schwarz. Im Kerzenlicht funkelten ihre Ringe, Armbänder, Ketten und Spangen.
    «Willst du dich hinsetzen, Kleiner? Ich hole dir einen Stuhl.»
    «Nein danke.»
    Gray hob ab, und Madame Lisa nahm sich die Karten.
    «Ich werde alles sagen, was ich in den Karten sehe. Das Gute wie das Schlechte, okay?»
    «Deshalb bin ich gekommen. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.»
    Sie legte die Karten langsam eine nach der anderen aufgedeckt auf den Tisch, und zwar nach einem bestimmten Muster. Solche Karten hatte Richard noch nie gesehen. Darauf waren farbige Bilder von seltsamen Szenen. Ein Fährmann brachte Passagiere über einen Fluss. Eine Frau saß gefesselt und mit verbundenen Augen vor acht Schwertern. Ein Hund und ein Wolf bellten den Mond an. Ein nacktes Kind auf dem Rücken eines weißen Pferdes.
    Insgesamt deckte sie zehn Karten auf. Sie schwieg eine Weile und betrachtete sie. Das Grollen des Donners war schon viel näher gekommen. Eine Seite des Zelts wurde von einer Windböe eingedrückt.
    «Sie sind nicht von hier», sagte sie. «Sie sind auf Reisen.»
    Gray sah zum Seesack und dann zu Richard, er lächelte.
    «Sehen Sie das in den Karten?»
    «Ja.»
    «Und was sehen Sie noch?»
    «Sie haben eine starke Seele. Die Menschen fühlen sich von Ihnen angezogen. Sie sind ein Anführer und werden es im Leben noch weit bringen.»
    «Meinen Sie, ich werde mal Präsident?»
    «Vielleicht nicht ganz. Aber Sie werden ein glückliches Leben führen. Sie werden sehr alt, älter als neunzig. Wollen Sie noch was wissen?»
    «Ja. Was ist mit den Miezen?»
    «Miezen?»
    «Sie wissen schon, Mädchen.»
    «Ich sehe viele Mädchen. Viel Liebe. Ein besonderes Mädchen.»
    «Blond oder braun? Oder rothaarig?»
    «Sehr dunkles Haar, fast schwarz.»
    Es donnerte so laut, als hätte eine Bombe neben dem Zelt eingeschlagen. Der Regen trommelte auf das Zeltdach. Das Gewitter, die merkwürdigen Karten, die flackernden Kerzen, die bodenlosen Augen von Madame Lisa – all das machte Richard Angst.
    «Eines Tages werden Sie sehr reich sein», sagte Madame Lisa.
    Gray lachte. «Ich? Reich? Hören Sie auf.»
    «Ich sehe einen Schatz. Einen funkelnden Schatz.»
    «Ich muss los», sagte Richard.
    Die Wahrsagerin und der Seemann sahen ihn an.
    «Mein Bruder sucht bestimmt schon nach mir.»
    Er drehte sich um und rannte nach draußen, so schnell, dass der Perlenvorhang rasselte. Hinaus in Wind und Regen.
    «Hey, Richard! Warte doch!»
    Gray lief ihm nach, den Seesack unter dem Arm. «Alles in Ordnung?»
    Richard nickte.
    «Was ist denn auf einmal los mit dir?»
    «Weiß ich nicht.»
    «Hör zu. Ich mache mir Sorgen um dich.»
    «Warum?»
    «Ich glaube, das war kein Autounfall, bei dem du dich so verletzt hast.»
    Richard starrte zu ihm hoch. Beide wurden vom Regen vollkommen durchnässt. Die Schausteller stellten sich unter, und die anderen Besucher verließen den Jahrmarkt und liefen zu ihren Autos.
    «Dein Vater war das, stimmt’s?»
    Richard war verblüfft. Woher wusste er das?
    «Woher stammen die vielen Schnitte?»
    «Er hat mich aus dem Fenster geworfen.»
    «Großer Gott.»
    Gray ging in die Knie. Auf Augenhöhe mit Richard. Legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    «Pass auf. Mein alter Herr war genauso. Bevor er ging. Deshalb weiß ich, wie das ist.»
    Richard wusste nicht, was er sagen sollte. Am liebsten wäre er wieder weggelaufen.
    «Kann dir denn keiner helfen? Zum Beispiel deine Mutter?»
    «Was ist denn hier los, verdammt noch mal?»
    Richard drehte sich um. Sie kamen durch den Regen auf sie zu. Sein Vater. Seine Onkel. Mason.
    «Nimm deine

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