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Hyänen

Hyänen

Titel: Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Epperson
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Jungen auf dem Rücken so lange herum, bis er ihn abgeschüttelt hatte. Dann packte er ihn an einer Hand und einem Fuß und schleuderte ihn durch das Fenster nach draußen. Richard zerschmetterte die Scheibe und das Fliegengitter und landete auf der Veranda. Über und über mit Blut bedeckt und bewusstlos, wurde er ins Krankenhaus gebracht. Niemand wagte es, die hanebüchene Geschichte, die die Garbers erzählten, irgendwie in Frage zu stellen. Man behandelte Richard wegen Gehirnerschütterung und einer ausgerenkten Schulter, seine Wunden wurden mit mehr als hundert Stichen genäht.
    Zwei Wochen später gingen Richard und Mason zum Jahrmarkt. Ihr Vater setzte sie ab und fuhr mit Clay und Kenneth weiter in ihre Lieblingskneipe. Richard und sein Bruder schlenderten durch das Sägemehl und sahen sich die preisgekrönten Kühe und Bullen an, die riesigen Säue und die Hühner in ihren Käfigen. Dann gingen sie zum aufregenderen Teil des Marktes, zu den Buden und Fahrgeschäften. Sie fuhren mit dem Breakdancer, der Krake und der Geisterbahn. Sie warfen mit Pfeilen auf Luftballons und mit Bällen auf Milchflaschen aus Holz. Sie aßen Hot Dogs und tranken Limonade. Dann traf Mason ein paar Schulkameraden. Richard leistete ihnen eine Weile Gesellschaft, aber niemand beachtete ihn, deshalb zog er lieber alleine weiter.
    Es war ein warmer, feuchter Abend gegen Ende des Frühlings. Es machte ihm nichts aus, allein zu sein. Er kaufte einen Liebesapfel. Die bunten Lichter, die schnulzige Musik und die aufgekratzten Schreie der Einwohner von Ansley, die sich in die aufregenden Fahrgeschäfte getraut hatten – all das gefiel ihm. Genauso wie die Schausteller. Sie wirkten so schmutzig und unheimlich, das faszinierte ihn. Er wollte so werden wie sie. Er fand es cool, immer von einer Stadt zur nächsten unterwegs zu sein. Hauptsache, man kehrte niemals nach Ansley zurück.
    Vor einem Zelt blieb er stehen und betrachtete das grelle Plakat, auf dem ein umwerfend schönes Mädchen mit acht Gliedmaßen abgebildet war. Ariadne, das verblüffende Spinnenmädchen.
    «Lass es lieber, Junge. Das ist Beschiss.»
    Er sah sich um. Hinter ihm stand ein junger Mann mit einem Seesack über der Schulter.
    «Ich bin schon drin gewesen. Das ist ein ganz normales Mädchen mit vier Plastikbeinen. Sie sieht nicht mal gut aus, eher wie ein Hund. Wenn ich du wäre, würd ich mein Geld nicht für so was zum Fenster rausschmeißen.»
    Er war klein und untersetzt. Mit rötlichen Haaren, einem Bürstenhaarschnitt, Knollennase und ein paar blassen Warzen. Er trug ein knallbuntes, kurzärmliges Hemd und eine Khakihose. «Ich heiße Gray», sagte er und streckte die Hand aus.
    Richard zögerte erst, dann nahm er sie. Eigentlich hatte er in seinem ganzen Leben noch nie jemandem die Hand geschüttelt.
    «Und wie heißt du?»
    «Richard», sagte er, mit fast unhörbarer Stimme.
    «Richard! Das ist ja mal ein guter Name. Mein Vorname ist bescheuert. Eugene. Ich hasse ihn. Ich benutze deshalb nur den Nachnamen. Gray.»
    Richard sagte nichts.
    «Bist du allein hier?»
    Er schüttelte den Kopf.
    «Mit wem bist du denn da?»
    «Meinem Bruder.»
    «Und wo ist der?»
    Richard sah sich um. Zuckte mit den Schultern.
    «Sag mal, Richard, was zum Teufel ist dir denn passiert?»
    Sein linker Arm lag in einer Schlinge, wegen der ausgerenkten Schulter. Und überall auf seinem Arm und seinem Gesicht waren Schnitte. Sie heilten, sahen aber schlimm aus.
    «Ich hab – ’nen Unfall gehabt.»
    «Was denn für einen Unfall?»
    «Auto.»
    «Du Armer. Ist noch jemand verletzt worden?»
    Er schüttelte den Kopf.
    «Der Apfel sieht gut aus. Woher hast du den?»
    Richard sah sich um, aber der Stand, an dem er ihn gekauft hatte, war nicht in der Nähe.
    «Kannst du mich vielleicht hinbringen? Ich würde mir gern auch einen kaufen.»
    «Okay.»
    Sie gingen los.
    «Wie lebt sich’s denn so in – wie heißt der Ort?»
    «Ansley.»
    «Wie lebt sich’s denn so in Ansley?»
    Er zuckte mit den Achseln.
    «Ich bin erst seit ein paar Stunden hier. Ich komme aus Iowa, einer kleinen Stadt, die Hubbard heißt. Schon mal davon gehört?»
    Er schüttelte den Kopf.
    «Dann erkläre ich dir jetzt mal, wo sie liegt. Nicht weit weg von Bangor und auch nicht weit von Eldora, und von da ist’s nicht weit bis ins Grundy Center. Alles klar?»
    Richard lächelte zaghaft. «Nein.»
    Sie waren an dem Stand mit den Liebesäpfeln angekommen.
    «Willst du noch einen Apfel?», fragte Gray. «Oder wie wär’s

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