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Hybrid

Titel: Hybrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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Ganz offenbar war sie ebenso wie er auf einer Spur.
    »Die Art der Verfärbungen ist polizeiliche Verschlusssache«, sagte er. »Wie ich schon sagte, darf ich Ihnen keine weiteren Details geben …« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Ich müsste mehr über Sie wissen und was Sie mit den Informationen anfangen möchten.«
    »Ich … Ich schreibe meine Dissertation über spezielle pathologische Phänomene … Das führt zu weit, wenn ich das jetzt alles erkläre.«
    Tom spürte, dass das nicht die Wahrheit war. Er musste sie dazu bringen, ihm weiterzuhelfen, ihn vor allem an die Daten aus dem Institut bringen. Aber dazu musste er auch etwas anzubieten haben. Und das war leider nicht der Fall.
    »Ich bin einer kriminalpolizeilichen Sache auf der Spur«, fabulierte er, »ein paar mehr Informationen habe ich also durchaus. Die aktuellen Untersuchungsergebnisse der Pathologie könnte ich aber ehrlich gesagt noch gebrauchen …«
    »Wenn ich morgen mehr erfahre, können wir uns ja vielleicht austauschen?«
    »Na ja, ich weiß nicht, in ein paar Tagen bekomme ich die Daten ohnehin …«
    »Aber nicht so schnell, richtig? Wie wäre es, wenn wir uns morgen treffen? Vielleicht können Sie ja sogar mitkommen zum UKE ?«
    Tom schaute zur Decke. »Mein Terminkalender ist ziemlich voll. Ich weiß gar nicht, ob ich morgen Zeit hätte … also da wäre höchstens gegen halb elf eine Lücke …«
    »Halb elf ist prima! Treffen wir uns direkt beim Institut?«
    »Ja, gut.« Er zog die Worte in die Länge, um eine Resignation anzudeuten.
    »Also dann, bis morgen!« Sie legte auf.
    Geschafft! Fast lachte er laut auf. Die Kleine schien es ganz besonders eilig zu haben. Umso besser!

Kapitel 3
Tagebuch von Marie Thomas – Brasilien, 12. Mai
    C hristian führte mich aus dem Lagerraum und stützte mich, während ich mich auf den Boden setzte und an die Außenwand lehnte.
    Er scherzte noch, dass ich wohl doch mehr zu Mittag hätte essen sollen, aber mir war nicht nach Scherzen zumute, und der Gedanke an Essen ließ meine Eingeweide nur noch mehr zusammenziehen. Der widerwärtige Leichengestank hatte mich noch immer in seinem Griff, schien nicht aus meiner Nase weichen zu wollen. Ich versuchte tief einzuatmen, so tief es in einem Klima möglich ist, das einer Waschküche gleicht, und es dauerte bestimmt zehn Minuten, bis sich mein Kreislauf beruhigt hatte.
    Mir war klar, dass ich eine lausige Figur abgab, und auch wenn Christian sich um mich kümmerte, mir sogar ein Glas Fruchtsaft holte, wusste ich, dass sich meine Reaktion in Windeseile verbreiten und ich zum Gespött des ganzen Lagers werden würde.
    Ich saß da und haderte, ob ich es nun dabei bewenden lassen oder einen zweiten Anlauf wagen sollte. Würde ich etwas beweisen, wenn ich mir die Leiche erneut ansah und auf den Boden kotzte? Wie arbeiteten Pathologen, die mit derart stark verwesten menschlichen Überresten konfrontiert wurden? Was taten Bestatter, wenn sie eine Leiche exhumieren mussten, einen Zinksarg ans Tageslicht holten und ihnen der Inhalt als dunkel vergorener Sirup entgegenschwappte?
    Ich kenne das nur aus Erzählungen und bin dem – wie ich mir gerade eingestehen muss – in meinem Studium immer ausgewichen. Aber allzu oft gab es solche Extremsituationen auch nicht, und ich überlegte, ob Christian nicht vielleicht recht hatte; hier gab es tatsächlich etwas zu lernen. Doch nach dem wenigen, das ich gesehen und gerochen hatte, war hier nicht mehr viel übrig, aus dem medizinische Erkenntnisse zu ziehen waren. Aber ich konnte etwas über mich selbst lernen. Wie gut würde es mir gelingen, mich meinem Ekel zu stellen? Mir die natürlichen biologischen und chemischen Prozesse vorzustellen, die Verwesung und die damit einhergehenden Veränderungen aus wissenschaftlicher Sicht zu vergegenwärtigen. Es war Natur pur, nichts, was nicht längst in jedem Detail untersucht und erklärt war. Nichts Menschliches durfte mir fremd sein, der Körper und alles, was er aufnahm, produzierte und ausschied – und wozu er wieder verfiel.
    Also stand ich auf und sagte Christian, dass ich wieder okay wäre. Er lachte und bot mir eine kleine Dose mit Tigerbalm an. Ich sollte es mir unter die Nase reiben, so wie er es getan hätte. Ich war sicher, dass er mir diesen Trick absichtlich verschwiegen hatte, um sich über meine Reaktion zu amüsieren. Verärgert folgte ich seinem Ratschlag und merkte sofort, wie die starken ätherischen Dämpfe der Paste meine Nase vollkommen in Beschlag

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