Hybrid
Hiller, nicht ich. Wenn es so einfach wäre, wie Sie sich das offenbar gedacht haben, wäre die Sache schon längst aufgeflogen. Also strengen Sie sich ein bisschen an und verschwenden Sie nicht meine Zeit.«
»Wir müssen dazu noch einmal auf die Insel.«
»Was Sie meinen zu müssen, interessiert mich nicht. Sie wissen, dass es illegal ist.«
»Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.«
»Das will ich nicht gehört haben. Wenn die Wasserschutzpolizei Sie auf ihrer nächtlichen Patrouille heute um halb drei oder morgen um eins erwischt, werde ich bestimmt kein zweites Mal die Augen zudrücken können.«
»Heute um halb drei und morgen um eins?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Herr Hiller. Und jetzt muss ich weiterarbeiten und hoffe, dass Sie es auch tun.«
Damit legte er auf.
Tom grinste. Berger mochte ein arroganter Klotz sein, aber dumm war er nicht.
Am frühen Abend parkte Tom vor einem alten Haus in Hamburgs Norden. Es war eine baumreiche, fast waldige Gegend, wo sich in den Nebenstraßen und hinter mannshohen Hecken prachtvolle Villen verbargen. Anders als an der Elbchaussee, wo jene Prominenten ihre Villen pflegten, die Wert auf Sichtbarkeit und eine exquisite Adresse legten, zog es die Millionäre hier in die Abgeschiedenheit einer fast dörflichen Umgebung. Denn im Norden der Hansestadt befanden sich nicht nur übergroße Parkgrundstücke und von Sicherheitskameras beobachtete Millionenobjekte, sondern auch Backsteinhäuser, die vor vielen Jahrzehnten einmal von wohlhabenden Kaufleuten erbaut worden waren. Diese Häuser wurden häufig nur in den Familien weitervererbt, denn niemand wollte die noblen Altbauten und ihre einzigartigen Grundstücke aufgeben, egal wie baufällig sie inzwischen sein mochten. Allein ihre Lage war zu kostbar, und Neubesitzer hätten sie vermutlich abgerissen.
Vor einem solchen Haus stiegen Tom und Juli aus. Es war dreistöckig, mit mehreren Erkern, verspielten Holzschnitzereien an den Balkonen und einem verwinkelten und mit Schiefer bedeckten Spitzdach. Tom schätzte das Alter des Anwesens auf mindestens einhundert Jahre. Es war deutlich, dass das Haus bessere Zeiten gesehen hatte, und nicht nur der Garten, auch die Fassade aus Backstein und Fachwerk hätte Pflege und Restauration nötig gehabt.
Sie klingelten an der Gartenpforte. Nachdem der Summer betätigt wurde und sie auf das Haus zugingen, erwartete sie eine junge Frau an der um einige Stufen erhöhten Haustür.
»Guten Tag, Frau Scholz, ich bin Julia Thomas, und das ist mein Kollege Thomas Hiller. Wir hatten telefoniert.«
Die Frau grüßte und führte sie durch eine kleine Vorhalle in ein geräumiges Wohnzimmer, wo sie ihnen Plätze auf einer Sofagarnitur anbot.
»Ich habe mich über Ihren Anruf sehr gewundert«, sagte sie. »Seit fast einem Jahr habe ich nichts mehr von den Ärzten ohne Grenzen gehört.«
Tom betrachtete die Frau genauer. Er schätzte sie auf Ende zwanzig. Körperlich noch fast jugendlich, aber ihr Gesicht wies einige tiefe Falten auf, die ihr einen verhärmten Ausdruck verliehen. Sie wirkte nicht abgerissen oder verlebt, im Gegenteil, das Haus, das Mobiliar und auch ihre Kleidung zeugten von ausreichend Geld, um ein sorgenfreies Leben führen zu können. Vermutlich von Beruf Tochter, schätzte er. Mit einer goldenen Saugglocke auf die Welt geholt. Aber glücklich schien sie nicht zu sein. Vielleicht war sie von Natur aus griesgrämig.
»Es geht zwar um das Camp der Ärzte ohne Grenzen«, erklärte Juli, »und ich bin als Medizinstudentin selbst schon dort gewesen, aber wir selbst gehören nicht direkt dazu.« Sie deutete auf Tom. »Herr Hiller ist freier Journalist, und ich selbst arbeite noch an meiner Promotion in der Humanmedizin. Gemeinsam recherchieren wir für einen Bericht über das Camp in Brasilien. Das Camp, in dem Ihr Bruder, Oliver, gewesen ist.«
Bei der Erwähnung des Namens zog sich der Mund der Frau zu einer schmalen Linie zusammen, aber sie nickte.
»Wir haben erfahren, dass er im Camp gearbeitet, sich aber dann auf den Weg zu einer Expedition gemacht hat, weil er einige Vorfälle untersuchen wollte. Man sagte uns, er sei danach nicht wieder zu den Ärzten zurückgekehrt, und wir wollten uns bei Ihnen erkundigen, was genau damals geschah und was aus ihm und seiner Expedition geworden ist.«
»Oliver ist nicht zurückgekommen«, sagte die Frau knapp. »Weder zu den Ärzten noch nach Hamburg. Ich weiß nicht, wo er ist.«
Juli zuckte innerlich zusammen. Es war,
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