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Hybrid

Titel: Hybrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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leiser. »Sie hätte die Welt auf den Kopf gestellt für mich. Und ich … ich habe nur gewartet.«
    Tom legte behutsam eine Hand auf ihre Schulter.
    »Nun mach dir keine Vorwürfe«, sagte er. »Wir sind hier, oder? Wir suchen sie. Wir sind auf ihrer Spur!«
    Juli drehte sich weg und stand auf.
    »Lass uns schlafen gehen«, sagte sie.
    »Hab ich etwas Falsches gesagt?« Tom stand auf. »Wenn ja, tut es mir leid!«
    »Nein, nein.« Julis Stimme war matt. »Ich bin nur müde und brauche Zeit für mich.«
    Tom nickte. »Okay.« Er legte die restlichen Äste auf das Feuer und kletterte in seine Hängematte, die auf Brusthöhe über dem Boden hing. Juli hatte ihm geraten, seine Schuhe anzubehalten oder zumindest mit nach oben zu nehmen, damit keine Insekten hineinkriechen konnten. Einmal in der wackeligen Matte angekommen, musste er dann das Moskitonetz über sich spannen und darauf achten, dass sich keine Mücken im Inneren verfingen. Tom ächzte und fluchte eine Weile, bis es geschafft war, dann lag er endlich leicht schaukelnd auf dem Rücken. Aber so ging es nicht. Er rappelte sich noch einmal auf und drehte sich auf den Bauch, versuchte seinen angewinkelten Arm als Kissen zu verwenden, was in der durchhängenden Konstruktion fast unmöglich war. Schließlich gab er es auf und rollte sich auf die Seite. Er würde kein Auge zutun können.
    Tom wachte von einem gellenden Schrei auf. Er meinte, sich nur ständig hin und her gewälzt zu haben, aber die tiefe Ohnmacht, aus der ihn der Schrei gerissen hatte, verriet ihm, dass er sehr wohl geschlafen hatte.
    Er sah nur Schwärze um sich herum, und einen Augenblick lang drohte ihn Panik zu befallen wie in einem Albtraum, der ihm vorgaukelte, lebendig begraben worden zu sein und in einem verschlossenen Sarg tief unter der Erde aufzuwachen. Er war blind, die Luft ließ sich kaum atmen, wirkte dumpf und schwer. Dann nahm er aus dem Augenwinkel schwache Lichtpunkte wahr, und als er sich zur Seite drehte, erkannte er, dass es kleine Reste glühender Kohle waren, die aus dem Aschehaufen des Lagerfeuers herausragten.
    Tom fragte sich, ob die Geräusche des Waldes in der Nacht tatsächlich etwas gedämpfter waren als tagsüber. Vereinzelte Insekten zirpten leise, aber das allgegenwärtige Durcheinander an Pfeiftönen, Flöten und Zischen, das Gezeter der Vögel und Affen, alles war verstummt. Dass der Wald nachts schlief, konnte Tom nicht glauben, es war, als hielte er den Atem an.
    Plötzlich ertönte erneut ein Schrei. Er klang fremdartig hohl, als wären die Bäume Säulen einer gewaltigen Halle. Der Schrei war unmenschlich kreischend, wehklagend und bedrohlich zugleich. Tom spürte, wie sich die Haare an seinem Körper aufrichteten. Was auch immer diese Geräusche von sich gab, war nichts, dem man begegnen wollte. Schon gar nicht in völliger Dunkelheit, wehrlos eingerollt in einer baumelnden Hängematte.
    »Juli?«, rief Tom halblaut.
    »Ja?«, kam die Antwort.
    »Hast du das gehört?«
    »Ja …«
    »Was war das?«
    »Ich weiß es nicht … Vielleicht ein Nachtvogel. Oder ein Affe, der gerissen wurde.«
    Tom zögerte einen Moment. »Ich fühle mich etwas unwohl«, sagte er dann.
    »Ich auch«, antwortete Juli. »Aber selbst wenn es eine Raubkatze war, dann ist sie bestimmt jetzt satt.«
    »Du hast eine seltsame Art, einem Mut zu machen.«
    »Ich versuche mich abzulenken und wieder einzuschlafen. Etwas anderes können wir nicht tun.«
    Tom antwortete nicht. Mochte auch Juli sich selbst leicht auf andere Gedanken bringen können, er war dazu nicht in der Lage. Er fühlte sich schutzlos und allem ausgeliefert. Eine quälende Rastlosigkeit befiel ihn, und vor seinem geistigen Auge vermischten sich die Geschichten über den Chupacabra mit dem Gefasel der Alten von den Geistern des Waldes. Tom belächelte die menschlichen Urahnen nicht mehr, die, nur in Tierfelle gehüllt, ohne mächtige Waffen oder Licht durch die nächtlichen Wälder und Savannen gestreift waren und sich abends am Feuer Geschichten über Monster und Dämonen erzählt hatten. Wenn es Orte und Momente gab, in der sich Aberglaube manifestierte, dann waren es Situationen wie die, in der Tom sich gerade befand.
    Er lag noch lange wach und wusste nicht, wann er die Augen geschlossen hatte oder in das Dunkel des Waldes starrte. Aber es ertönte kein weiterer Schrei. Irgendwann setzten die normalen Geräusche des Waldes wieder ein, und Tom fiel in einen leichten und unruhigen Schlaf.
    Der Morgen begann mit dem Krakeelen

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