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Hybrid

Titel: Hybrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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jederzeit drohte, zu ihnen heraufzukommen.
    Immer wieder raschelte und kratzte das Wesen, heulte laut auf. Die Töne, die es von sich gab, waren so fremdartig wie grauenerregend, nicht unähnlich denen eines Tiers, das in äußerster Erregung und größtem Schmerz ein fast menschliches Schreien ausstieß.
    Es schien eine Stunde vergangen zu sein, eine endlose Zeit, in der sich Tom und Juli nicht bewegten und nicht den kleinsten Laut von sich gaben, als das Wüten der Kreatur nachließ. Das Wesen lungerte und strich noch immer um den Fuß des Baums herum, aber seine Bewegungen waren langsamer, Schübe plötzlicher Aggression kamen seltener, und ihr Brüllen war einem klagenden Heulen gewichen, das beständig leiser wurde.
    Als lange Zeit nichts mehr zu hören war, spürte Tom, wie sich Julis Hand aus seiner löste. Er konnte nicht ausmachen, ob sie sich nun etwas entspannte oder ob sie erschöpft eingeschlafen war. Aber er wagte nicht, sie anzusprechen. Er zog seinen eigenen Arm langsam zurück. Dann lauschte er wieder in die Nacht, lenkte alle seine Sinne auf den Boden, ob er von dort etwas hörte. Aber alles blieb ruhig. Als die ersten Vogelstimmen einsetzten, wusste er nicht, ob es daran lag, dass die Kreatur abgezogen war, oder ob der Tag anbrach. Aber er fühlte sich befreit, und endlich sank er in den Schlaf.
    Als Tom erwachte, konnte er sich kaum rühren. Seine Glieder fühlten sich schwer an, und als er sich versuchsweise bewegte, meinte er, jeden Muskel zu spüren. Nicht nur die Strapazen des vergangenen Tages, auch die Anspannung in der Nacht hatten ihm zugesetzt. Er sah zu Juli hinüber. Sie lag auf der Seite und schlief noch.
    Es war hell geworden, jedenfalls so hell, wie es tief unter dem Blätterdach des Regenwalds wurde. Es war ein grünbraunes Zwielicht, das durch die feuchte Wärme umso dichter wirkte.
    Tom hatte kein gutes Gefühl dabei, den Baum zu verlassen, aber er musste dringend pinkeln, und so setzte er sich mühsam in seiner Hängematte auf. Augenblicklich wurde es ihm schwarz vor Augen. Er sank zurück. Die Nacht war weder kühl noch erholsam gewesen, und sein Kreislauf sandte ihm massive Alarmsignale. Es wurde höchste Zeit, etwas zu trinken, etwas Herzhaftes zu essen, oder besser noch, etwas mit viel Zucker, und den Körper dann behutsam wieder in Bewegung zu bringen.
    Nach einigen Momenten ging es ihm etwas besser. Vorsichtig kletterte er aus der Hängematte und achtete beim Abstieg über das verknotete Wurzelgeflecht auf jeden Tritt, jeden Griff. Er dachte daran, wie gut es war, dass ihn jetzt niemand sah, wie er im Zeitlupentempo einen lächerlichen Baum herunterkrabbelte. Er musste aussehen wie ein behindertes Faultier, das sich nach jeder Bewegung neu erinnern musste, was es als Nächstes tun wollte.
    Am Boden angekommen atmete er tief durch und streckte sich. Er würde noch einmal hinaufsteigen müssen, erinnerte er sich, um die Hängematte und die Ausrüstung zu holen. Aber jetzt hatte er erst etwas Dringenderes zu erledigen.
    Mit ungelenken Schritten ging er los, als er nur zwei Meter entfernt ein großes, dunkles Bündel inmitten von zersplittertem Unterholz, herausgerissenen Farnen und aufgewühltem Erdreich liegen sah.
    Sofort waren ihm die Geräusche aus der Nacht wieder gegenwärtig. Überall um sich herum sah er nun Spuren der Verwüstung. Entwurzelte Pflanzen, herabgerissene Lianen, Kratzspuren in der Rinde des Baums hinter ihm. Und rotbraune Schlieren und Spritzer, die sich ungesund vom Grün der Blätter abhoben.
    Tom stockte der Atem.
    Das Wesen hatte hier gewütet und geschrien.
    Und das dunkle Bündel direkt vor ihm … Es musste die Kreatur sein. Schlafend. Oder lauernd. Bereit, ihm an die Kehle zu springen.
    Tom spürte, wie er sich verkrampfte, zitterte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Instinktiv wollte er wegrennen. Oder rückwärts gehen. Abstand zwischen sich und dieses Wesen bringen. Aber er konnte sich nicht bewegen. Sein Blick hing gebannt an dem undefinierbaren Haufen zwischen dem Gestrüpp und dem verwüsteten Unterholz. Was war das?! Er musste einfach hinsehen, es ergründen.
    Er machte einen langsamen Schritt nach vorn.
    Aber das Wesen rührte sich nicht.
    Tom sah Insekten über die Oberfläche krabbeln. Viele, geschäftige Insekten.
    Dann machte er einen weiteren kleinen Schritt.
    Laut surrend flog eine Wolke Fliegen auf und verteilte sich auf den Pflanzen in der Nähe.
    An dem Bündel kam etwas zum Vorschein, das Tom eine eisige Kälte den Rücken

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