Hybrid
unbekannter Vögel in den hohen Baumkronen des Dschungels. Tom schlug die Augen auf und sah die Bäume im Zwielicht liegen. Ein fast unwirklich schöner Anblick, aber der Gedanke währte nur kurz, bevor ihm sein entsetzlich schmerzender Rücken bewusst wurde und die Tatsache, dass er bereits jetzt schwitzte, obwohl er sich noch keinen Schritt bewegt hatte.
»Hey, guten Morgen«, hörte er Juli, und als er zur Seite blickte, sah er, dass sie gerade zwischen einigen Bäumen auftauchte.
»Wo warst du?«, fragte er und versuchte, sich in der Hängematte aufzurichten.
»Fragt man das eine Dame, die in den Büschen verschwunden ist?« Sie schien erstaunlich gut gelaunt zu sein.
»Entschuldige …«
»Ich wollte dich bloß ärgern. Ich war am Fluss.« Sie schwenkte die Wasserflasche.
Tom schwang seine Beine über den Rand der Hängematte und ließ sich hinunter. »Ganz allein?«
»Vielleicht ist ja Feiertag, und alle schlafen noch. Jedenfalls habe ich sonst niemanden getroffen.«
»Es hätte dir doch was passieren können!«
»Ach Tom …« Sie lachte leise. Während Tom sich streckte, baute sie den Campingkocher auf.
»Äh, das ist ja ganz nett«, meinte Tom, »aber so früh morgens für mich bitte noch kein Chili.«
»Quatsch, kein Chili. Kaffee!«
»Was?!«
Juli hielt ein kleines Schraubglas hoch. »Mein geheimer Vorrat Instantkaffee. Ich hoffe, du verzeihst, wenn wir auf Milch und Zucker verzichten müssen.«
Tom zog die Augenbrauen hoch. »Das … Das ist die beste Neuigkeit des Tages!«
»Der allerdings auch gerade erst angefangen hat.«
»Ach, sonst bin ich doch immer der Zyniker.«
»Es wäre ja schön, wenn der heutige Tag weniger mühsam würde als gestern, bloß weil ich Kaffee dabeihabe. Ich fürchte nur, dass wir uns darauf nicht verlassen können. Und wenn du jetzt schon Gicht im Rücken hast …«
»Gicht? Mir geht’s prima!«
»Na, umso besser.«
Juli sollte recht behalten. Der Urwald blieb fast undurchdringlich, und ihr Weg führte sie durch dichtes Unterholz, zwischen herabhängenden Lianen und Luftwurzeln hindurch und durch ein Dickicht von meterhohen Farnen. Zeitweilig musste Tom die Machete an Juli abgeben, um seinen rechten Arm zu schonen. Immer wieder suchten sie die Nähe des Flusses, um ihn nicht durch eine plötzliche Biegung aus den Augen zu verlieren. Als es Mittag wurde und sie ihre dritte Pause an diesem Tag einlegten, waren sie bereits erschöpfter als am Abend zuvor.
»Lass uns ein bisschen länger ausruhen«, schlug Tom vor. »Du legst dich in deine Hängematte, und ich sehe mal, ob wir nicht vielleicht doch eine Konservendose mit Pfeffersteak und Pommes frites haben.«
Ohne Widerrede befestigte Juli ihre Hängematte und legte sich hinein. Sie war todmüde. In der Nacht hatte sie kaum Ruhe gefunden, und sie fragte sich, wie Tom in der Lage gewesen war, nach dem grauenvollen Kreischen in der Nacht wieder einzuschlafen. War er wirklich so leicht zu beruhigen? Oder war er so mutig? Vielleicht bemühte er sich auch, keine Schwäche zu zeigen, ähnlich wie er versuchte, sich seine Erschöpfung nicht anmerken zu lassen. Ein nicht sehr erfolgreiches Unterfangen, das Juli amüsiert zur Kenntnis nahm, aber sie rechnete es ihm an, dass er sich nicht hängen ließ. Ihre kleine Expedition war anstrengend genug. Waghalsig und nur wenig Erfolg versprechend. Die Suche nach Marie unternahm er auch ihr zuliebe – seiner Story über die Verflechtungen der Pharmafirma und ihrer illegalen Menschenexperimente könnte er in Manaus viel sinnvoller nachgehen. Indem Tom sich zusammenriss, half er auch Juli, stark zu bleiben und durchzuhalten. Möglich, dass es in der Nacht nicht anders gewesen war. Nicht auszudenken, wenn sie sich gegenseitig mit ihrer Unruhe angestachelt hätten und hysterisch geworden wären. So aber stützten sie sich gegenseitig. Fast ein wenig so, wie es mit Marie immer gewesen war. Auf ihre Kraft und ihren unbeugsamen Willen hatte sie sich immer verlassen können …
»Es sind wieder nur Bohnen geworden«, hörte sie Tom plötzlich neben sich und schreckte auf. Sie musste eingenickt sein. Tom stand neben ihrer Hängematte und sah sie an.
»Tut mir leid, ich hatte nicht gesehen, dass du geschlafen hast«, sagte er. »Willst du dich noch weiter ausruhen? Oder hast du ein bisschen Hunger?«
Juli richtete sich auf und massierte ihre Stirn.
»Doch, etwas zu essen, wäre jetzt ganz gut. Das hier zehrt ganz schön an den Kräften.«
»Ja, das kann man wohl sagen. Mir
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